autobahnuniversität / Detlef B. Linke - Identität durch Mord?

Einen "riskanten Diskurs" nennt der Mediziner, Hirnforscher, Philosoph und Kommunikationswissenschaftler Detlef B. Linke seinen Vortrag beim Heidelberger Konstruktivismus-Kongress im Jahr 1992. Die Autobahnuniversität hat diesen und andere Vorträge dieses legendären Kongresses aufgezeichnet und für die Öffentlichkeit archiviert.


Linkes Forschungs- und Ausbildungsspektrum sowie seine immensen praktischen hirnchirurgischen Erfahrungen lassen – wie dieser Vortrag paradigmatisch zeigt – die Herausforderungen, die moderne Hirnforschung den traditionellen philosophischen Zugängen zu personaler Identität entgegensetzen zu können meint, in ganz anderem Licht erscheinen.


Linke knüpft an die Theoriefigur der operationalen Geschlossenheit autopoetischer biologischer Systeme an, wie sie u. a. von Humberto Maturana in den erkenntnistheoretischen Diskurs eingeführt wurde. Er bezweifelt allerdings, dass daraus die Notwendigkeit einer Konstruktion des Unterschieds von Ich und Anderer dann doch wieder genauso laufen müsse wie in der Tradition von Descartes oder des Idealismus (etwa bei Johann Gottlieb Fichte). Wie, wenn über das hemisphärisch organisierte Gehirn der andere schon immer im Ich ist? Ist die Annahme, man müsse den anderen aus dem Ich erst herausarbeiten, eine Fehlkonstruktion? Folge ungünstiger bis verwirrender Metaphoriken, die auch neurophysiologische Theoriebildung häufig begleiten oder gar leiten?
Brain-Splitting-Experimente und (aus medizinischer Notwendigkeit durchgeführte) Hirnoperationen zeigen, so Linke, z. B. die Funktionalitätsverteilung in den beiden Hirnhälften nicht immer so gegeben zu sein scheint, wie landläufig angenommen wird.
Was insinuiert Goethe, wenn er in Heidelberg einer Geliebten das Blatt eines Gingko-Baums schenkt und dazu schreibt: "Bin ich eines oder doppelt, oder bin ich zwei, die sich in eins gefunden?" Die Reaktionen der Zuhörer:innen, die Detlef B. Linkes Vortrag begleiten, zeigen, wie erhellend und zugleich erfrischend dieser Beitrag für den Diskurs des Konstruktivismus war - und bleibt.


Detlef B. Linke (1945 - 2005) studierte Medizin, Philosophie und Kommunikationswissenschaften, schrieb seine Promotion zu psychomotorischer Epilepsie und habilitierte mit Forschungen zu den Sprachzentren des Gehirns. Er lehrte u. a. Klinische Neurophysiologie und Neurochirurgische Rehabilitation an der Universität Bonn.



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