autobahnuniversität / Horst-Eberhard Richter - Erinnern und Entwerfen im psychotherapeutischen Handeln

Horst-Eberhard Richter hielt 1995 bei den Lindauer Psychotherapiewochen einen beeindruckenden Vortrag, den die Autobahnuniversität dokumentierte. In einem weiten und äußerst erhellenden Bogen der Beschreibung psychoanalytischer Theoriebildung und Organisation der Ausbildung bis in die 1990er Jahre macht Richter erkennbar, wie sehr politische Entwicklungen in den 1920er Jahren bis zur offenen Machtübernahme des Nationalsozialismus in Deutschland und des Austrofaschismus in Österreich zu Anpassungsprozessen führten, die der Psychoanalyse jede gesellschaftspolitische Verantwortung abzunehmen versuchten. Bis in zeitgenössische Debatten hinein könne die fatale Übertragung von Machtstrukturen auch in der Organisation von institutioneller psychoanalytischer Ausbildung erkennbar werden. Die Idee einer reinen Wissenschaft von der Seele, die nichts mit der äußeren gesellschaftlichen Welt zu tun habe, widerspreche dem erklärten Ziel der Förderung psychischer Emanzipation in einem Klima der Toleranz und der Empathie. Die konkrete Gesellschaft als Problem für die Anpassung des Individuums werde nicht mehr nicht berücksichtigt. Ein klares Defizit, das Richter in seiner eigenen Anpassung als Sanitätssoldat im Zweiten Weltkrieg und an teils erschreckenden Äußerungen führender Psychoanaytiker paradigmatisch illustriert. Ein Fazit sei: Mehr Demokratie in der psychoanalytischen Subkultur ist notwendig. Es gehe um die Erkenntnis der eigenen Unterwerfungsstrategien durch ein Menschenbild, das innere und äußere Welt unzulässig, aber folgenreich trennt.
Zum Abschluss illustriert Richter die Gefahren solcher Bewegungen am Beispiel der aktiven Vorbereitung und Beteiligung prominenter Mediziner, Psychiater und Anthropologen am nationalsozialistischen Vernichtungsprogramm (u. a. auch Konrad Lorenz). All dies wirke bis in heutige Debatten und Argumentationsstrategien, wie z. B. zu gentechnischen Entwicklungen. Orientierung könnten und sollten auch heute diejenigen geben, die dem Nationalsozialismus und seinen Angeboten widerstanden. Das emanzipatorische Ziel der Leidensfähigkeit sei dem verführerischen und politisch gefährlichen der Leidensfreiheit vorzuziehen.


Horst-Eberhard Richter (1923-2011) gehörte zu den bedeutendsten Medizinern, Psychoanalytikern und Psychiatern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum und erfuhr auch international weite Anerkennung. Er wirkte u. a. an den Universitäten Gießen und Wien sowie in zahlreichen Forschungsinstituten und -gesellschaften und Organisationen des Gesundheitswesens. Richter hinterließ ein umfangreiches publizistisches Werk und zählte als gewichtige Stimme in fachlichen und gesellschaftspolitischen DIskursen.



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