68er-Deutschland und AfD

Herr Meuthen, Vorstand der AfD, hat auf dem Parteitag am Wochenende gesagt, man wolle "weg vom linken rot-grün verseuchten, leicht versifften 68er-Deutschland".

Da stellt sich natürlich die Frage, was denn damit gemeint sein könnte. Wer oder was sind eigentlich die viel gepriesenen und viel gescholtenen 68er? Und was haben sie in Deutschland "angerichtet"? Und was ist der Gegenbegriff zu "versifft" (nach dem mir vertrauten Sprachgebrauch wahrscheinlich: "sauber", "rein")?

Ich selbst habe 1968 studiert, und mit dieser Jahreszahl wird ja meist auch "Studentenrevolution" assoziiert. Damals war das Spektrum der Studenten ziemlich weit gefächert: Von farbentragenden, schmissigen, schlagenden Studenten auf der einen Seite, über den Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) bis zum Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) und den unzähligen, einander bekriegenden K-Gruppen, die sich gegenseitig als nicht orthodox genug denunzierten.

Eine Einheit, die den Namen "die 68er" verdient, kann und konnte ich nicht sehen.

Was aber damals entstand, war ein öffentlicher Diskurs über den Status quo gesellschaftlicher Verhältnisse. Er wurde konflikthaft ausgetragen und führte zur Reflexion und Infragestellung dieser Verhältnisse (z.B. verklemmte Sexualmoral, Abtreibungsverbot, Rolle der Frau, traditionelle Kleinfamilie, Erziehungspraktiken, Autoritätsbeziehungen im Allgemeinen, Westbindung der BRD, Vietnamkrieg, Studienordnungen etc.). Die öffentliche Bewußtmachung/-werdung, dass derartige Normen nicht gottgegeben sind, hatte teilweise deren Veränderung zur Folge (z.B. Änderung der Abtreibungs- und Homosexualitätsparagraphen).

Diese Veränderungen sind offenbar der Siff, den Herr Meuthen im Blick hat. Man kann sicher über viele gesellschaftliche Entwicklungen, die seit 1968 eingetreten sind, unterschiedlicher Meinung sein. Aber für mich klingt aus dem nun endlich verabschiedete Programm der AfD

doch sehr die Sehnsucht nach Adenauers Deutschland. Als jemand, der diese Zeit als Kind und Jugendlicher sehr bewußt erlebt hat, finde ich, dass Deutschland heute weit attraktiver und lebenswerter ist als damals (obwohl ich natürlich auch nicht alles gut finde, wie es ist bzw. sich entwickelt hat).

Mir ist bei den Fernsehbildern vom AfD-Parteitag in Stuttgart aufgefallen, dass da in erster Linie männliche Rentner sassen. Also alles Leute, die 1968 miterlebt haben dürften. Mir ist schleierhaft, was ihre Nostalgie ausgelöst haben mag. Vielleicht waren sie ja die Jungs, die 1968 zu kurz gekommen sind - die Revoluzzer hatten damals einfach bessere Chancen beim anderen Geschlecht (zugegeben: alberne Idee und vollkommen unsachlich).

Und natürlich sind mir viele Programmpunkte, die dort jenseits des Antiislamismus beschlossen wurden, emotional und intellektuell nicht nachvollziehbar (z.B. Strafmündigkeit von Kindern ab dem 12. Lebensjahr - da komme ich dann wieder zu dem Schluss: Die haben einfach ein Rad ab! - und ich weiss nicht, ob ich das beruhigend oder beunruhigend finden soll).