Afghanistan

Man sollte nur Kriege beginnen, die man gewinnen kann. Und das ist nur der Fall, wenn man es mit einem Gegner zu tun hat, der vernichtet werden kann oder kapitulationsfähig ist. Und beides war in Afghanistan nicht der Fall.


Es ist nicht wirklich befriedigend, wenn die Geschichte einem rechtgibt. In meinem Kriegsbuch („Tödliche Konflikte. Zur Selbstorganisation privater und öffentlicher Kriege“) – rechtzeitig kurz vor 9/11 publiziert – bin ich aus systemtheoretischer Sicht zu dem Schluss gekommen, dass es ein epistemologischer Irrtum ist, wenn man meint, mit Gewalt einen Krieg gewinnen zu können. Eine der Paradoxien des Krieges (als soziales System) besteht darin, dass der Verlierer entscheidet, wann der Krieg beendet ist. Er ist es, der die weiße Fahne ziehen kann, und damit den Krieg beendet (wie Deutschland im 2. Weltkrieg).


Leider denken immer noch viele Politiker (z.B. die George W. Bush-Regierung) und Politologen, sie könnten mit Gewalt einen „Systemchange“ von außen herbeiführen. Ich erinnere mich, wie z.B. der (unsägliche) Herr Münkler, als wir gemeinsam in einer Fernsehdiskussion über den Einmarsch der USA (2003) diskutierten, ganz begeistert von der Idee der US-Hegemonie, die nunmehr etabliert würde, war.


In Afghanistan hatten wir es von Beginn an mit einem nicht-gewinnbaren Krieg zu tun. Zum einen war/ist der Gegner nicht vernichtbar, denn generell sind kriegführende Parteien wie die Taliban oder der Islamische Staat etc. nicht vernichtbar, da ihre Grundlage und ihr Rekrutierungsreservoir ideeller Natur ist. Ideen kann man nicht mit Waffen besiegen. Wer z.B. eine Religion oder Ideologie vertritt, mag angesichts einer übermächtigen Gewalt die Schnauze halten und sich wegducken, aber er gibt nicht auf, und seine Ideen und Überzeugungen sind nicht vernichtet. Vernichten kann man eigentlich mit Gewalt immer nur Individuen, aber nicht soziale Systeme, wenn sie sich auf die Überzeugungen ihrer Mitglieder gründen.


Kommen wir zu Kapitulationsfähigkeit. Kapitulieren können handelnde Einheiten. Staaten sind im Westen solche Einheiten – autopoietische Systeme, die sich als Einheit herstellen, erhalten und agieren. Das ist und war aber in Afghanistan nie der Fall. Denn auch wenn Afghanistan auf den Schulatlanten als Einheit eingezeichnet ist, so war es nie das, was im Westen unter Staat zu verstehen ist: ein politische Einheit, regiert von einer Zentralgewalt. Der „Staat“ Afghanistan war nie ein autopoietisches System, sondern die einzelnen Stämme waren und blieben gegeneinander abgegrenzte autopoietische Systeme, die im Wettbewerb miteinander ihre Interessen vertreten (haben). Dass jetzt das Militär sang- und klanglos die Herrschaft den Taliban überlassen haben, ist daher nicht erstaunlich. Es gab keinen Staat, für den es sich zu Kämpfen gelohnt hätte, weil man mit ihm identifiziert war. Das war lediglich eine Illusion der westlichen Besatzer (die dachten, sie wäre Retter und Helfer).


Ich bin 1975 durch Afghanistan gefahren, und auch damals – lange bevor 1979 die Russen einmarschierten und scheiterten – war Afghanistan kein Staat, wie man ihn sich im Westen vorstellt. Es hatte kurz zuvor einen Militärputsch gegeben, der neue Herrscher hieß Abu Daud, und dass das Militär für Sicherheit sorgte, war an jeder Tankstelle zu bemerken, da sie von Soldaten bewacht wurde, und jedem war klar, dass man sich von den meisten Stammesgebieten im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan besser fernhalten sollte.


Auch wenn jetzt alle davon sprechen, es sei eine Blamage für den Westen, dass innerhalb weniger Wochen, ja, Tage die Taliban ohne Gegenwehr die Macht in Afghanistan übernommen haben, so ist doch nüchtern festzustellen, dass dies wahrscheinlich aktuell die beste Lösung ist, denn es ist wenigstens weiteres Butvergießen verhindert worden. Wozu – so wahrscheinlich die rationale Überlegung der einheimischen Soldaten – einen Krieg ausfechten, den man nicht gewinnen kann?


Dass die Taliban mit ihrem Sieg glücklich werden, muss allerdings auch bezweifelt werden. Ihnen bleibt wahrscheinlich gar keine andere Wahl, als eine Schreckensherrschaft zu etablieren, denn auch sie werden keinen Staat im westlichen Sinne gegen die einzelnen Stämme etc. schaffen können. Ihre Herrschaft kann nicht ewig dauern, aber – wie die Erfahrung zeigt – leider doch sehr, sehr lange...