Amok

Was soll ich zu dem Amok-Lauf von Winnenden schreiben? Das macht mich ja eher sprachlos. Aber über etwas anderes zu schreiben und zur Tagesordnung überzugehen, wäre irgendwie auch nicht richtig.


Also: Amok ist eine indonesische Insel. In dieser Gegend der Welt ist der Amok-Lauf erfunden worden. Er diente ursprünglich Leuten, die keine Lust mehr am Leben hatten, dazu, den eigenen Tod zu gewährleisten, ohne sich selbst umbringen zu müssen (das war aus religiösen Gründen nicht gewollt). Wer wildfremde Menschen ohne erkennbares Motiv umbringt, hat ziemlich große Chancen, von den Hütern der öffentlichen Ordnung unschädlich gemacht zu werden. Auch auf Amok war das so.


Im Amoklauf zeigte (und zeigt) sich - so kann man folgern - eine Mischung aus Selbst- und Fremdaggression. Eine spezifische Form des erweiterten Suizids.


Auffällig ist, dass die Täter von denen, die sie vor der Tat zu kennen meinten, als "unauffällig" charakterisiert werden. Das mag einer der Gründe für derartige Taten sein. Wer nicht auffällt, der existiert sozial nicht. Nicht wahrgenommen zu werden ist eine Form - die ultimative Form - der Entwertung. Es sind also eher Menschen, die angepasst erscheinen, sich den Erwartungen anderer - z.B. der Schule - stillschweigend anzupassen scheinen. Sie stören nicht, sie irritieren nicht, sie perturbieren nicht das System.


Die Anwendung von Gewalt - und das dürfte der Reiz von Gewaltphantasien (siehe Videospiele) sein - hat immer die Wirkung, aufzufallen. Jemandem Gewalt anzutun, ihn zu verletzen oder körperlich zu bedrohen, ist ein Beitrag zu Kommunikation, der nicht aufgrund seiner Unauffälligkeit übersehen werden kann. Wer bis dahin nicht wahrgenommen wird, wird spätestens dann wahrgenommen. Das ist die Grundlage aller Terrorstrategien. Das macht sie attraktiv.


In den Fernsehdiskussionen um Thema hat gestern Abend jemand festgestellt, dass es solche Akte nur in nördlichen Ländern gibt. In mediterranen Kulturen seien sie nicht zu finden. Eine der Erklärungen dafür könnte sein, dass man da nicht so funktioniert. Es ist alles expressiver, hysterischer, die Selbstdarstellung ist legitimer als im unterkühlten, "rationalen" Norden...


Wie kann man reagieren? Kompliziert wird die Angelegenheit dadurch, dass solche Taten für den Täter ja so viel Erfolg (Aufmerksamkeit) versprechen: einmal im Leben Pop-Star, den ganzen Tag Thema aller Fernsehstation Fan-Sites im Internet... Welches Würstchen, dass sich sonst nicht recht gesehen sieht in der Welt, könnte sich nicht an solchen Phantasien aufgeilen?


Das Problem ist, dass Amok-Läufer eigentlich lächerlich gemacht werden müssten, zum Objekt des Gespötts, damit die narzisstsche Attraktivität solcher Taten verloren geht.


Aber wer kann und will sich über Täter lustig machen, angesichts der Opfer...