Begegnungen mit Spencer-Brown V (Essensreste)

Wir verabredeten uns für den nächsten Abend, um Einzelheiten des Aufenthalts in Heidelberg zu besprechen.


Als wir, meine ständige Begleiterin und ich, in seine Wohnung kamen, hatte er schon Essen besorgt. Statt - wie ich plante - in ein Restaurant in der Nähe zu gehen, durften wir bei ihm zuhause essen (was bei uns keineswegs Freude auslöste). Da der Tisch mit Papieren angefüllt war, mussten wir die Pappbehälter vom "Inder ein paar Häuser weiter" dazwischen drapieren. Leider reichte George uns auch Teller und Besteck. Ich fühlte mich zurück versetzt in andere Reiseerlebnisse: In Borneo in einem der Langhäuser tief im Urwald oder auch auf Samoa, zu Besuch bei Einheimischen. Sie bieten etwas zu essen an, was sehr fremd wirkt, und beim durchschnittlichen Mitteleuropäer (d.h. mir) sofort die schrecklichsten Phantasien über unheilbare Krankheiten oder zumindest lange Nächte auf fremden Toiletten auslöst. Aber die Höflichkeit erfordert es die freundliche Gabe anzunehmen...


Dieses Reaktionsmuster hat bei mir offenbar weniger mit irgendwelchen objektivierbaren hygienischen Bedenken zu tun, sondern mit der Sorge um die Bewahrung meiner Grenzen. Was will man (ich) in meinen Körper hineinlassen (Reste des Essen anderer Leute, deren angetrockneten Speichel?), kann ich die Kontrolle bewahren über meinen Körper? Egal. Auf jeden Fall habe ich bei George an diesem Abend (wie später auch noch öfter) sehr stark das Bedürfnis erlebt, meine Grenzen schützen zu müssen (was natürlich mehr über mich als über ihn aussagt). Immerhin mag unsere Kollusion etwas mit der Bildung und Aufrechterhaltung von Grenzen zu tun haben, schließlich hat das Thema der Grenzen in den LoF mein Interesse an GSB geweckt. In dem Zusammenhang spielen auch Georges kaputte Zähne eine Rolle, denn sie sorgten dafür, dass auch der wohlmeinendste (=ich)einen gehörigen Abstand zu ihm hielt...


Über die Publikation seines Buches beim Carl-Auer-Verlag einigten wir uns relativ problemlos. Die LoF hätte ich ja auch gern gehabt, aber da er einen Vertrag mit Suhrkamp hatte, kam das für uns nicht in Frage. Allerdings waren die Vorboten größerer Streitigkeiten mit Suhrkamp schon am Horizont zu sehen, denn trotz vorliegender Übersetzung war George nicht einverstanden mit der Publikation, weil ihm die Bezahlung nicht angemessen erschien. Er wollte neben dem Autorenhonorar noch eine Honorierung seiner Designleistung, d.h. für den Entwurf der Crosses, die ja ein zentrales Element seines Werks sind.


Ich versuchte ihn zu überzeugen, dass er sich (möglicherweise) keinen Gefallen täte, wenn er auf diese Weise die Verbreitung seines Werks in Deutschland verzögere oder behindere...

(ohne Erfolg).


Wir vereinbarten, dass George zu einem Vorbesuch nach Heidelberg kommen solle, damit er ein Gefühl für die Stadt und die Leute, mit denen er zu tun haben würde, bekommen und noch einmal in Ruhe überdenken könne, ob er wirklich mehrere Monate in Heidelberg verbringen wolle.