Berater-Neutralität vs. politische Parteilichkeit

In den Diskussionen über die verordneten Covid-Massnahmen, in die ich mich in letzter Zeit immer wieder verwickeln lasse (s. LinkedIn oder auch unser Lockdown-Buch) scheint mir, dass von meinen Berater-Kollegen (natürlich nicht allen, aber doch einigen) unterschiedliche Rollen und Funktionen (um nicht den bei vielen so beliebten Begriff „Haltungen“ zu verwenden) verwechselt werden: Die Rolle und Aufgabe des Beraters, der als Dritter moderierend in Konfliktsituationen tätig wird, und die des Staatsbürgers, der nicht als Außenstehender auf einen Konflikt schaut, sondern Mitglied des Systems ist, in dem der Konflikt kocht.


Der kritische Unterschied besteht m.E. darin, dass man als Berater nicht für Entscheidungen und die aus ihnen resultierenden Handlungen des Systems verantwortlich ist – das sind in Organisationen die verantwortlichen Führungskräfte, in der Politik die gewählten Amtsträger –, sondern lediglich die Verantwortlichen dabei unterstützt, intelligente Entscheidungen zu treffen. In dieser Rolle sind Neutralität oder Allparteilichkeit hilfreich, um möglichst viele (wenn schon nicht alle) für eine Entscheidung relevanten Aspekte und Interessen(-Gruppen) in die Kommunikation zu bringen. Das erhöht die Handlungs-Optionen, unter denen dann eine Wahl getroffen werden kann oder muss.


Als politischer Amtsträger oder Führungskraft hat man eine andere Rolle und Funktion: Man muss Entscheidungen verantworten (d.h. man muss sie gar nicht selbst treffen, sondern dafür sorgen, dass sie getroffen und durchgesetzt werden). Das heißt, Neutralität mag für sie in der Klärungsphase (evtl. unterstützt durch Berater) hilfreich sein, um die Optionen auszuloten, aber irgendwann müssen sie „springen“, d.h. eine Entscheidung verkünden und dafür sorgen, dass sie umgesetzt wird. Das ist immer riskant, da erst die Zukunft zeigen wird, ob sie dem erstrebten Ziel dient oder nicht bzw. sogar schädliche Wirkung hat.


Berater, die in Führungspositionen gelangen, scheitern meiner Erfahrung nach häufig, weil sie meinen, sie müssten weiter neutral bleiben. Das ist ein Fehler, denn dann kommt es nicht oder zu spät zu Entscheidungen, an denen sich alle anderen orientieren können. Das System ist gelähmt.


Analoges gilt m.E. für politische Entscheidungen wie das Mund-Nasen-Schutz-Gebot. Hier ging/geht es ums Abwägen der Optionen – und dessen Resultat kann sich im Laufe der zunehmenden wissenschaftlichen Erkenntnisse wandeln –, aber dann muss irgendwann gehandelt werden. Trotz unvermeidlicher Zielkonflikte (z.B. Gesundheit vs. ökonomische und sonstige Kosten) muss entschieden werden, d.h. zumindest situativ ist Parteilichkeit (nämlich für die aktuell gesetzten, priorisierten Ziele) erforderlich. Mit solchen Entscheidungen muss man als Staatsbürger nicht übereinstimmen und deswegen darf man auch dagegen demonstrieren. Und es ist Aufgabe von Regierungen, ihre Entscheidungen zu plausibilisieren. Doch wird man da nie alle einbinden können. Wie ich von Dieter Roth, einem der renommiertesten Meinungsforscher in Deutschland, Erfinder des Politbarometers, (bei einer Diskussion über Populismus vor ca. einem Jahr) erfahren habe, haben seit Gründung der BRD stets ca. 15 – 20% der Bevölkerung einen Hang zu radikalen Positionen: von der DfU über die NPD, die AfD bis zu Aluhutträgern und – jetzt, wie mir scheint – Corona-Leugnern. Die Spielregeln der repräsentativen Demokratie sind so, dass man abweichender Meinung sein kann, aber das enthebt einen nicht, politische Entscheidungen als bindende Prämisse der eigenen Entscheidungen und Handlungen zu akzeptieren und umzusetzen. Ich persönlich spare mir daher alle Versuche, Verschwörungsmythologen etc. zu überzeugen.


Im Falle des Vermummungsgebots scheint mir die Verweigerung genauso asozial wie andere Formen der Kleinkriminalität, nur leider kollektiv viel gefährlicher. Ich will nicht so weit gehen, es mit terroristischen Aktivitäten gleichzusetzen, weil die Täter dort bewusst die Schädigung ihrer Mitbürger als Ziel haben, es hier hingegen nur billigend in Kauf nehmen. Wenn man sich die Zahlen in den USA ansieht und die Folgen der Superspreader-Events, die von Donald Trump organisiert wurden, so sind die Zahlen der dortigen Terror-Toten vernachlässigenswert im Vergleich zu den Corona-Toten. In zwei Tagen sterben dort so viele Menschen an/mit Corona wie beim Anschlag auf die Türme des World-Trade-Centers 9/11. Wer von den maskenlosen Demonstranten die schädigenden Wirkungen seines Tuns leugnet, der ist m.E. vollkommen zurecht als Cov-Idiot zu bezeichnen (was geradezu liebevoll ist im Vergleich zu Covid-Terrorist). Und ich finde nicht, dass da die Frage nach den Motiven für derartiges Handeln irgendeine Rolle spielt. Hier geht es allein um die Wirkung.