Blasey Ford/  Kavanaugh

Die Befragung vor dem Justiz-Komitee des US-Senats von Christine Blasey Ford und Brett Kavanaugh zwecks Berufung des letzteren zum Richter auf Lebenszeit am Supreme Court dauerte etliche Studen, und ich habe mir alles angesehen.


Zunächst war Frau Blasey Ford an der Reihe: Sie wirkte gefaßt, trotzdem konnte sie beim Bericht, wie Kavanaugh als Jugendlicher sie zu vergewaltigen versuchte, ihre Tränen kaum zurückhalten. Sie wirkte sehr sympathisch, ohne Eitelkeiten, eine verantwortliche Bürgerin, die ihr Land liebt und versucht eine fatale Richterbesetzung zu verhindern. Ihre Erschütterung und der nachhaltige Schaden, der ihr zugefügt wurde, war sichtbar. Ich kann mir kaum jemanden vorstellen, der nicht mitgefühlt hat, große Sympathien und Empathie für sie beim Zuschauen entwickelt hat .


Auch die Befragung durch die demokratischen Senatoren (die klar auf ihrer Seite waren) bewältigte sie zurückhaltend und glaubwürdig, offen und authentisch. Die republikanischen Senatoren hatten - ein strategischer Fehler - statt sie selbst grillen eine Staatsanwältin gebeten, sie an ihrer Statt zu "verhören". Ein Fehler war dies vor allem deshalb, weil die Staatsanwältin sich verhielt wie bei einem Prozess vor Gericht auf der Suche Fakten zu finden oder Aussagen zu widerlegen. Aber diese Befragung war nicht Teil eines Gerichtsprozesses, sondern einer politischen Veranstaltung. Die Staatsanwältin war offenbar nicht in der Lage diese Kontexte zu trennen. Deswegen war sie nicht in der Lage, irgendwelche Punkte gegen die Zeugin zu sammeln. Sie spielte nach nicht passenden Spielregeln.


Der Auftritt von Kavanaugh begann mit einem wütenden, langen Statement des Kandidaten. In dieser Wut wirkte er überzeugend. Wenn jemand zu Unrecht angeklagt wird, dann ist es nicht erstaunlich, wenn er wütend reagiert. Allerdings verlor er diesen Faden, als er selbst die Rolle des Anklägers einnahm. Er beschuldigte zum einen die Demokraten seine Reputation, seine Familie, ja, die Institution Gerichts bzw. des Wahlverfahrens für Richter am Supreme Court zu zerstören. Es sei Rache der Clintons für die verlorene Wahl. Diese Angriffe schienen mir unpassend. Dann konnte er zum anderen die Tränen kaum zurück halten, als er anfing, sich selbst und seine Verdienste, seinen wunderbaren Lebenslauf zu preisen. Die Tränen, so schien es mir, waren Tränen des Selbstmitleids. Dieser Auftritt verlor ein wenig von seiner Wirkung, dass Kavanaugh immer wieder den Rotz hochziehen musste (was ja notwendig ist, wenn man die Nase voll hat - von Tränen, meine ich - und weiter reden will, ohne sich die Nase zu putzen).


Die Befragung begann zunächst wieder die Staatsanwältin, genauso wirkungslos wie in der ersten Phase. Deshalb nahm Lindsey Graham, der entschiedenste Verbündete Trumps im Senat, sie aus dem Spiel nahm, um eine wütende Brandrede zu halten, in der er die Demokraten anklagte, sich in unerhört unmoralischer Weise daran zu beteiligen, die Existenz eines Menschen zu zerstören, etwas, was er in seiner langen Geschichte als Politiker noch nicht erlebt habe.


Der Vorsitzende der Sitzung (Grassley) unterbrach die Sitzung, weil die Wogen der Emotionen bei den Senatoren zu hoch gingen. Nach einer Viertel Stunde ging es weiter. Die Fragen der Demokraten zielten meist direkt oder indirekt auf die Frage, warum nicht das FBI einbezogen würde, um die Vorwürfe zu klären. Kavanaugh kam dabei immer wieder in die unglückliche Situation, dass er nicht nur die Rolle des Zeugne oder Angeklagten (das war nicht so klar zu unterscheiden) und seines eigenen Verteidigers, sondern auch noch des Vertreters des Komitee-Vorsitzenden einnehmen musste, um zu begründen, warum nicht das FBI einbezogen würde...


Die republikanischen Senatoren scherten sich im weiteren Verlauf nicht mehr um die Anschuldigungen von Frau Blasey Ford, sondern machten die Sitzung zu einem Tribunal über die Demokraten, die in letzter Minute die Berufung eines kompetenten Richters zu verhindern suchten. Es sei alles eine Verschwörung.


Insgesamt war die Tatsache, dass erst Frau Blasey Ford und dann Kavanaugh sprach, sicher günstig für den Mann, weil die emotional packenden Aussage der Frau im Laufe der Zeit verblasste und seine Wut und die der Republikaner den Raum füllte.


Ich selbst halte Kavanaugh nicht für glaubwürdig. Mir schien er einer jener Jungs aus gutem Haus gewesen zu sein, deren große Karriere bei Geburt vorgezeichnet ist. Er ging auf die besten Schulen und Unis, war Musterschüler, Kirchgänger, half alten Damen über die Strasse, coachte die Basketballmanschschaft seiner Töchter, arbeitete eng mit George W. Bush und einem der obersten Richter zusammen usw. Seine Wut schien aus der Tatsache zu resultieren, dass es jemand wagt seine Integrität in Frage zu stellen. Dass er gern Bier trinkt, gab er zu. Aber das ist ja kein Verbrechen. Dass er - offenbar als Jugendlicher christlich verklemmt und extrem gehemmt (er zeigte in der Anhörung Zeichen von Zwanghaftigkeit vor Beginn der Befragung, als er etwa eine Minute brauchte, um das Namensschild auf dem Podium vor sich ordentlich hinzustellen) - im Suff die sonst wahrscheinlich sein Leben bestimmende Selbstkontrolle verloren und einen Vergewaltigungsversuch begangen haben könnte, scheint mir nicht ausgeschlossen (ich will jetzt nicht mit psychoanalytischen Hypothesenbildungen beginnen, aber es wäre leicht, solch eine Psychodynamik nachzuzeichnen). Es ist auf jeden Fall nicht unvereinbar mit seinem ansonsten blütenweiss gehaltenen Lebenslauf als christlicher Chorknabe. Die Aggressivität, zu der er fähig ist, hat er während des Hearings gezeigt. Ihm möchte ich nicht als Angeklagter begegnen, wenn er als Richter mich im Unrecht und sich auf Seiten des Rechts wähnt...