Brexit/Laws of Form

Darüber, dass ich es wenig weise (um es sehr britisch untertreibend auszudrücken) fand, ein Referendum über den Brexit abzuhalten bzw. generell die über inzwischen jahrhundertelang bewährten Strukturen einer repräsentativen Demokratie auf diese Weise auszuhebeln, habe ich hier schon öfter geschrieben. Das muss ich nicht wiederholen.


Ich will stattdessen das Augenmerk auf einen handwerklichen Aspekt dieses Referendums lenken, der zeigt, wie unprofessionell (um nicht - weniger zurückhaltend formuliert - zu sagen: total bekloppt) die Abstimmung durchgeführt wurde.


Es ist geradezu tragisch, dass gerade in GB, dem Heimatland von George Spencer-Brown, dem Autor der "Laws of Form", keiner der Verantwortlichen Kenntnis von dessen Erörterungen über Formbildung genommen hat...


Wenn man eine Abstimmung zwischen zwei Optionen abhält, dann müssen beide Seiten positiv, d.h. durch interpersonell beobachtbare Merkmale der Unterscheidung, gekennzeichnet sein. Das war bei der Brexit-Abstimmung nicht der Fall.


Hintergrund: Bei jeder Unterscheidung wird ein Raum, Zustand oder Inhalt, der durch charakteristische Merkmale definiert werden kann (="markierter Raum, Zustand oder Inhalt"), von einem Raum, Zustand oder Inhalt abgegrenzt, dem diese definierenden Merkmale fehlen (="unmarkierter Raum, Zustand oder Inhalt").


Bezogen auf das Brexit-Referendum heißt das: Markierter Zustand = Mitgliedschaft in der EU, definiert durch die Notwendigkeit sich an EU-Regeln zu halten, durch welche die Beziehungen zu den anderen Mitgliedern und auch - zum Teil - zu Nicht-Mitgliedern definiert ist. Wenn nun abgestimmt wird zwischen "Remain" (=markierter Zustand) und "Leave" (=nicht-markierter Zustand), so bleibt es vollkommen undefiniert, was man anstelle der EU-Mitgliedschaft erhält, d.h. wie die Beziehungen zu den Mitgliedern der EU sein sollen usw.


Mit anderen Worten: Die zur Wahl stehenden Optionen bei der Brexit-Abstimmung  waren (und sind) nicht mehr als eine Art Rorschach-Test, ein Tintenkleksbild, dem jeder die Bedeutung zuschreiben mag, zu der er Lust hat. Das war zwar eine gute Voraussetzung, um eine Mehrheit "gegen" den markierten Zustand zu erreichen, aber als sie erreicht war, begannen logischerweise die Schwierigkeiten, sich darüber zu einigen, was man eigentlich anstelle der EU-Mitgliedschaft setzen will, d.h. wie die Außenseite der Unterscheidung markiert bzw. definiert werden soll.


Das wäre, wenn man sich mit "Formen" beschäftigt hätte, vorauszusehen gewesen. Aber das hat offenbar niemand getan oder aber naiver- oder kriminellerweise nicht in die Diskussion gebracht.


Was wir jetzt im politischen System GB's sehen, ist die unvermeidbare Folge...


Insofern ist es auch albern, wenn nun argumentiert wird, man müsse das Ergebnis des Referendums bzw. den Willen "des Volkes" respektieren, denn es hat eigentlich gar kein Ergebnis bzw. es sagt nur, was nicht sein soll - und das auch nur höchst vieldeutig...