David Helfgott

Vorgestern Abend war ich bei der Premiere eines Films, der im Januar in die Kinos kommt: "Hello I am David". In ihm wird der australische Pianist David Helfgott auf einer Konzertreise mit dem Stuttgarter Symphonieorchester durch Deutschland begleitet.


Und gestern Abend war ich bei einem Konzert von ihm im Kammermusiksaal der Philharmonie in Berlin.


Ein bemerkenswerter Mensch mit einer bemerkenswerten Karriere und einem durchaus von den Erwartungen an Pianisten abweichenden Verhalten: Er singt z.B. mit, wenn er eine Symphonie spielt, oder er redet beim Spielen.


Die Karriere von Helfgott ist deswegen so interessant, weil er als Wunderkind aufwuchs - was sicher ein schweres Schicksal ist -, schon mit 23 Jahren ein Konzert in der Royal Albert Hall in London gab, dann aber einen "Nervenzusammenbruch" erlitt (was immer sich hinter diesem Begriff an Verhaltensauffälligkeiten verbergen mag) und zum psychiatrischen Patienten wurde, der mehr als 10 Jahre in einer Anstalt verbrachte. Sein Leben wurde in Hollywood verfilmt (Titel: "Shine").


Offenbar hat ihn die sehr enge und liebevolle Beziehung zu Gillian, seiner jetzigen Frau, einer Astrologin, der die Sterne die nötige Sicherheit gaben, um sich auf die Beziehung zu ihm einzulassen, wieder in die Lage versetzt, auf den Bühnen der Welt zu brillieren.


Die Musikwelt streitet sich darüber, wie die Qualität seiner Musik einzuschätzen ist, aber ich - als jemand, der von Musik etwa ebensoviel versteht wie von Atomphysik, sie aber mehr geniesst als diese - kann sagen, dass sein Spiel berührend ist. Er spielt nicht so gelackt und perfekt, aber er ist offenbar mit Leib und Seele in seinem Spiel, und das teilt sich mit. Er schert sich überhaupt nicht um die strengen Konventionen des klassischen Musikbetriebs, und das macht einen Unterschied, den zu hören sich lohnt. Man muss sich allerdings auf ein gewisses Maß an Unberechenbarkeit einstellen, denn er spielt nicht unbedingt das, was im Programm steht. Er neigt dazu, sich spontan umzuentscheiden.


Der Trick und die Genialität mancher psychiatrischer Karrieren (und Symptombildungen) ist ja, dass die Zuordnung des gezeigten Verhaltens für den Beobachter unentscheidbar wird: hat man es mit einem erwachsenen, mündigen, schuldfähigen Menschen zu tun oder mit einem nicht-erwachsenen bzw. kranken, unmündigen, nicht-schuldfähigen Menschen zu tun. Das eröffnet für denjenigen, der sich in diesem Raum der Unentscheidbarkeit bewegt, einen sozialen Freiraum, der jegliches Verhalten ermöglicht - wohingegen die "normalen" Menschen um ihrer Integration in die "normale" Gesellschaft willen sich stets selbst ihrer Freiheit beschneiden.


David ist, wie ich im persönlichen Kontakt erleben konnte, ein ausgesprochen liebenswerter Mensch, der den Kontakt sucht und gerne küsst (meine ständige Begleiterin war offenbar sehr angetan). Und ich habe noch keinen Künstler gesehen, der Applaus so unverklemmt genießt wie er und das auch zeigt.


Übrgens: Der Film kommt, wie erwähnt, im Januar in die Kinos und er ist sehenswert.