Die  Beichte

Als jemand, der schon früh mit katholischen Bräuchen und Ritualen, die er nicht verstand, konfrontiert wurde, war die Beichte immer von besonderer Faszination und speziellem Schrecken. Mal abgesehen, dass ich den Beichtspiegel bis heute nicht richtig verstehe (was ist z.B. "unkeusch"?), finde ich diese Kommunikationsform bemerkenswert. Seit ich mir über die prinzipielle Undurchschaubarkeit psychischer Prozesse für außenstehende Beobachter klar geworden bin, ist mir stets deutich gewesen, welche Ungeheuerlichkeit und Zumutung die Beichte darstellt: Wer anderen Zugang zu seinem Denken und Fühlen ermöglicht, gibt tendenziell seine individuelle Freiheit auf, weil er sich berechenbar macht. Deswegen ist die Beichte m.E. in ihrer Zielsetzung und/oder Funktion wahrscheinlich mit Ziel und Funktion der Datensammlung der NSA vergleichbar (nur, dass die keine Absolution erteilt, die das Fegefeuer verkürzt).


Was mir aber nicht klar war, ist der Zusammenahng zwischen der Beichte von Kindern (die von Pius X. zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingeführt wurde) und dem sexuellen (und selbstverständlich auch dem psychischen) Mißbrauch von Kindern durch Priester. Bis zu Pius X. wurden erst Menschen zur Beichte zugelassen, die zwischen gut und böse unterscheiden können (so ähnlich war das konzipiert), also etwa ab dem 13. oder 14. Lebensjahr. Dass nunmehr auch Siebenjährige dazu verdonnert wurden, ihre "sündiges" Leben irgendwelchen verklemmten, zölibatären Priestern zu offenbaren, hat sie deren nahezu unbegrenzter Macht ausgeliefert. Über die Drohung mit der Hölle, der Verdammnis, dem Fegefeuer und allen nur denkbaren ewigen Qualen auf der einen Seite, der Möglichkeit der Rettung vor all diesen Strafen durch den Freispruch des Priesters andererseits, wurde ein Wohlverhalten dem Beichtvater gegenüber forciert bzw. ein Machtgefälle etabliert, dass dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet hat. Dass die Amtskirche dies lange Zeit nicht nur stillschweigend zur Kenntnis genommen, sondern gefördert hat, ist ein Skandal, der immer noch viel zu wenig diskutiert wird.


Das Buch heißt übrigens "Die Beichte", Autor: John Cornwell, Berlin Verlag; es ist zwar interessant, aber eigentlich trotzdem nicht wirklich lesenswert, weil der Autor als ehemaliger Priester-Seminarist letztlich doch an der Oberfläche bleibt, die er beklagt, und nicht tiefer in die Logik solch eines Kommunikationsmusters bzw. solch eines Beziehungsangebots eindringt ... Er ist nach Ablieferung des Manuskripts beim Verlag bestimmt beichten gegangen.