Die „Heidelberger Gruppe“ – Beispiel gelingender Teamarbeit

In den 1980er Jahren schuf Helm Stierlin in seiner „Abteilung für psychoanalytische Grundlagenforschung und Familientherapie“ der Uni Heidelberg die Bedingungen für die Entwicklung einer – wie ich meine – sehr kreativen und fruchtbaren Teamarbeit (ich habe hier bewusst nicht geschrieben, dass er ein Team schuf o.Ä., denn das kann ja nie ein Einzelner, aber ohne ihn hätte das alles sicher auch nicht stattgefunden). Die sogenannte Heidelberger Gruppe hat damals einen nicht unbeträchtlichen Einfluss auf die Entwicklung und Verbreitung der systemischen Therapie und systemischen Denkens im deutschsprachigen Raum genommen. Einige der kritisch schauenden Kollegen der Uni sprachen bei den von uns organisierten Kongressen mit teilweise 2500 Teilnehmern davon, dass eine Bewegung kreiert worden sei – und sie meinten das nicht positiv.


Was an dieser Zeit so auffallend war, ist, dass es nur ein paar Leute waren, die da in einer Weise zusammenarbeiteten, die alle als extrem bereichernd und spannend erlebten. Wie konnte solch eine produktive Zusammenarbeit gelingen? Zu diesem Thema hat nun Andreas Kollar ein Buch publiziert, in dem er mit Hilfe von Interviews mit den – wie er meint – wichtigsten Protagonisten von damals, den Mitgliedern des Kernteams: Gunther Schmidt, Gunthard Weber und mir, die damalige Teamdynamik zu rekonstruieren versucht hat. Auf diese Weise ist eine Mischung von erzählten Storys aus der Innenperspektive der Beteiligten und Analysen aus der Außenperspektive der Beobachtung entstanden. Das Buch hat als Titel ein Zitat verwendet, das Helm Stierlin immer wieder in Feld führte, wenn von Kritikern unser Mangel an falscher Bescheidenheit moniert wurde: „Nur die Lumpe sind bescheiden“ (stammt ursprünglich von Goethe).


Anzumerken ist natürlich – nun hoffentlich in der angemahnten falschen Bescheidenheit –, dass wir wahrscheinlich nicht objektiv berichtet haben und – schon mal die unvermeidlichen Kränkungen von nicht näher erwähnten Kollegen anerkennend und um Entschuldigung bittend – schändlich die Leistungen des uns vier (Helm Stierlin konnte nicht mehr interviewt werden: Er starb in der Zeit als das Buch entstand) umgebenden äußeren Kreises vernachlässigt haben: Es waren Ingeborg Rücker-Embden-Jonasch, Andrea Ebbecke-Nohlen, Jochen Schweitzer, Arnold Retzer, Hans-Rudi Fischer sowie jede Menge von Praktikantinnen und Praktikanten, die durch ihre kritischen Frage wichtige Diskussionen angestoßen haben.


Wir drei, die in diesem Buch als Hauptpersonen auftreten, machen allesamt kein Hehl daraus, dass die über mehrere Jahre dauernde Zusammenarbeit extrem inspirierend war. Sie hat Weichen für unser weiteres Berufsleben gestellt und vieles, was wir – getrennt – anschließend gemacht haben (was auch eine ganze Menge war) seine Wurzeln in dieser Zeit hatte. Wir konnten in diesem Team Prozesse erleben, in denen jeder der Beteiligten alle seine – mal guten, mal weniger guten – Ideen in die Kommunikation eingeben konnte und am Ende ein Ergebnis erzielt wurde, das keinem Einzelnen mehr zuzuschreiben war, aber ohne alle Beteiligte so nicht herausgekommen wäre: praktiziere Mehr-Hirn-Intelligenz, Ideen schließen an Ideen an, Wissen an Wissen, Beobachtung an Beobachtung usw., nur dass dies eben nicht in einem einzelnen Hirn (besser: Bewusstsein), sondern in der Kommunikation geschieht. Großartig.


Andras Kollar: Nur die Lumpe sind bescheiden. Zur Autobiographie der Heidelberger Gruppe (oder so ähnlich).