"Ehe für alle"

Es ist für mich nicht leicht, mir einen Reim darauf zu machen, warum die Frage der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare solche Aufregung auslöst bzw. ausgelöst hat.


In meiner Jugend (50er Jahre) war die allgemeinen sexuelle Verklemmung so groß, dass Homosexualität noch bestraft wurde (§  175), man in die Kirche ging, um zu beten, dass der liebe Gott einem doch das schlimme Schicksal schwul zu werden, ersparen möge, im Beichtspiegel wurde nach unkeuschen Gedanken gefragt, und man musste heiraten, weil ein Kind unterwegs war.


Das hat sich mit der sexuellen Revolution, speziell der Anti-Baby-Pille, der 68er-Bewegung, die nicht nur den Muff unter den Talaren, sondern auch aus den Schlafzimmern der Nation fegte, radikal verändert. Heute ist es keine Schande mehr, einen Menschen des eigenen Geschlechts zu lieben, es gibt gesetzliche Regelungen, die dafür sorgen, dass einer der wichtigsten Gründe zu heiraten (das Ehegattensplitting) auch von gleichgeschlechtlichen Paaren genutzt werden kann, und die gesellschaftliche Diskriminierung ist zwar noch nicht ganz beseitigt, aber lächerlich gering im Vergleich zu den 50ern.


Wozu also heiraten? Klar, das Adoptionsrecht weist da noch einige Lücken auf. Aber ich kenne etlich gleichgeschlechtliche Paare, die Kinder haben (wie immer sie das angestellt haben mögen). Außerdem wollen viele Paare, ob homo- oder heterosexuell, gar keine Kinder...


Die Ehe ist also wohl nicht aus sachlichen oder pragmatischen Gründen wichtig (das regelt fast alles schon die "Verpartnerung"), sondern aus symbolischen.


Mir scheint hier eine paradoxe Entwicklung ihren Höhepunkt gefunden zu haben: Die Sexualität hat sich von allen kleinbürgerlichen Maßstäben und Normen entfernt, und gleichzeitig und gegenläufig dazu ist das Bedürfnis nach kleinbürgerlicher Normalität gestiegen. Trautes Heim, Glück allein. Nicht nur bei gleichgeschlechtlichen Paaren. Auch die anderen heiraten heute und veranstalten aus diesem Grund pompöse Feiern. Ganz in Weiss, mit einem Blumenstrauss (Roy Black lebt... überall).


Das kleinbürgerliche Ideal ist die "Normalität": Mama, Papa und ein oder zwei Kinder bzw. Mama, Mama und ein oder zwei Kinder bzw. Papa, Papa und ein oder zwei Kinder.


Ich persönlich glaube nicht, dass mit der Einführung der "Ehe für alle" die Grundfesten unserer Gesellschaft in Frage gestellt werden. Ganz im Gegenteil (und das hat wahrscheinlich auch Frau Merkel gemerkt): Hier werden extrem konservative Lebensformen bestätigt (die wahrscheinlich ja in unserer globalisierten Welt, in der die allgemeine Unsicherheit stärker wird, nicht zufällig wieder so populär werden, weil sie wenigstens im persönlichen und privaten Bereich Sicherheit versprechen - bis dass der Tod Euch scheidet, oder wenigstens eine Zeitlang auf dem Weg dahin).