Ein Feuerwerk zum Kehraus

Es ist fünf Minuten vor Zwölf. Wirklich! Gleich beginnt der siebte Tag meiner Kehrwoche. Es knattert aus der Landschaft wie manchmal bei einer nächtlichen Militärübung mit Platzpatronen aus mehreren Maschinenpistolen. Wir (meine Frau und ich) treten zusammen auf den Balkon und sehen in wenigen hundert Metern Entfernung vom Hügel im Nordwesten zu unserer Freude und Überraschung lauter bunte Raketen steigen. Schööön! Da hat wohl eine private Geburtstagsparty gerade ihren Höhepunkt erreicht und es gibt zur Freude der Gäste ein kleines Feuerwerk. Rot, Grün, Gelb. Prachtvolle Sternenkaskaden zerplatzen und dazwischen kracht laut der eine oder andere Böllerschuss. Als hätte jemand zum Abschluss meiner Kehrwoche für mich (und meine liebe Frau) ein Feuerwerk bestellt. Na ja! So groß war das Echo in den Weiten des Web auf meine vehementen Versuche nicht gerade, die Schulwelt von der Notwendigkeit ihrer eigenen Neuerfindung zu überzeugen. Aber schließlich weiß ich ja zur Genüge, dass jemand, der eine neue Idee hat, zunächst eine Minderheit von einer Person ist. Ich könnte mir trotzdem einbilden, das geschähe allein zu meinem Kehrwochenfinale, was ganz schön blöde wäre, ich weiß. Deshalb lasse ich das auch.


Wenn aber diese Idee mit der Neuerfindung (vielleicht eher Evolution) der Schule da draußen auf ein einziges Gehirn trifft, das dafür die richtige Antenne ausgefahren hat, dann sind wir schon zwei. Da es aber in Wirklichkeit schon mehr Leute sind, die ihr Bewusstsein bereits auf diese Richtung eingestellt haben, besteht die Hoffnung, dass damit der "Ausbruch einer Epidemie" (Stan Grof) ein klein wenig beschleunigt wird und sich alsbald neue Zeichen der beginnenden Veränderung Richtung "Schule neu denken" (und danach handeln) in der Lehrerschaft des Landes zeigen. Ich stelle mir wirklich vor, dass sie in Massen beginnen, die Verantwortung für ihr Handeln selbst zu übernehmen und Kultusminister und Administration Kultusminister und Administration sein lassen. Es bedarf eines gewissen Mutes zur (verantwortungsbewussten) Subversion. Wenn auch nur gaaanz langsam und allmählich. Und da kommt dieses Feuerwerkchen und begrüßt mit mir den siebten Tag! Da soll man laut biblischem Gebot zwar ruhen, aber die Kehrwoche fordert ihren Mann auch am Sonntag. Schließlich ist das auch der Hauptarbeitstag aller (anderen) christlichen Prediger. Da wäre zunächst noch ein kleines Stück aufzuräumen, das da rumliegt:


###Dank Muttermilch gescheiter?###


Wie exakt (oder auch wirklich) ist das Wissen um die Wirkung der Muttermilch? Elsbeth Stern sagt nämlich in der ZEIT (Nr.31 S.69), dass Kinder, die Muttermilch getrunken haben, geistig leistungsfähiger seien als andere, die nur mit der Flasche ernährt worden sind. Wer liefert den wissenschaftlichen Nachweis, dass das wirklich von der Muttermilch kommt (so wichtig gute Ernährung gewiss ist)? Kann es nicht auch daher rühren, dass ein Baby, das an der Brust saugen will, sich in ganz anderer Weise für seine Nahrung anstrengen muss als das Flaschenkind, das mit viel weniger Mühe (Engagement) die Nährlösung intus kriegt? Könnte es nicht sein, dass das Gehirn des Babys an der Mutterbrust dadurch eine differenziertere Konstruktion im Kortex entwickelt? Könnte sich das Gehirn des „echten“ Säugers also nicht auch durch die viel intensivere Beanspruchung der Gesichtsmuskeln rascher und differenzierter entwickeln? (Auch Geiger haben im Rindenfeld des motorischen Kortex, das die linke Hand steuert, eine deutlich stärkere Ausprägung als Nichtgeiger. Und niemand geht davon aus, dass es nur die geschickten Finger seien, welche die Musik machen). Aktive Nahrungsbeschaffung macht intelligent. Diese Theorie liegt nahe, wenn man an die menschliche Evolution denkt. Risotto-kochen macht den Koch klüger als Tütensuppe zu wärmen (Blog vom 19. Juni)), wenn auch nicht die Esser. Zum Dritten ist möglich, dass die beim Stillen intensivere Kommunikation zwischen Mutter und Kind die Gehirnentwicklung positiver beeinflusst, als wenn die Mutti das Baby nur passiv an der Flasche nuckeln lässt. Fragen über Fragen! Aber Mutterschaft und Muttermilch sind ja so heilige Dinge, dass man da (viel-)leicht den Durchblick verlieren kann. Es ist wirklich eine „Kunst nicht (das Falsche) zu lernen“ (F.B.Simon)!


Und jetzt gehe zur Feier des Tages ich in den Garten.


###Rosen und Lavendel###


„Haben Sie auch so viele Blattläuse an Ihren Rosen?“, fragt eine ältere Dame im Vorbeispazieren. „Nein, eigentlich nicht“, meine ich und vergesse ganz zu erwähnen, worauf ich das zurückführe. Dabei ist die Erklärung einfach: Blattläuse mögen frische Rosentriebe wirklich über alles und mancher Rosenfreund verzweifelt schier an der „Kalamität“ mit den ungeliebten Blattsaugern, so dass es sprichwörtlich Rosenzüchter geben soll, die sich mehr um die Blattläuse als um die Rosen kümmern. Ich denke einmal mehr an Lynn Dhority, das amerikanische Multitalent, das seine Liebe zur deutschen Literatur (seine Profession) seiner deutschen Großmutter verdankt. Er hat das trefflich erkannt und dazu gesagt: *“Worum wir uns auch immer kümmern, seien es Möglichkeiten oder Probleme, alles wird um so größer, je mehr wir uns damit beschäftigen.“* Wenn aber Blattläuse eines überhaupt nicht riechen können, dann ist es der „Duft des Südens“, der Lavendel. Also wachsen bei uns an den Rändern der Rosenbeete und wo immer möglich Lavendel. Das ist eine (aus menschlicher Sicht) perfekte Kombination des Systems Rosen mit dem System Lavendel, die auch hinsichtlich der Harmonie der Farben und Formen gilt.


Die veredelte Rose ist gewiss eine der ältesten menschlichen Pflanzenzüchtungen, was um so mehr verwundert, da sie ja rein der Freude am Schönen dient und keinen praktischen Nutzen hat im Vergleich zu Obstbäumen oder Getreidepflanzen. Ihr Duft hat von jeher die Dichter zum Schwärmen gebracht. Ich denke an den berühmten islamischen Weisen Rumi, der schon vor über 750 Jahren dazu sagte: *„Ein wenig vom Duft der Rose bleibt immer an der Hand zurück, die sie verschenkte.“* Die edle Rose ist ein Stück Natur. Aber ohne die pflegende Hand des Menschen gäbe es sie nicht als Kulturgut der Menschheit. Und nicht als symbolträchtiges Geschenk.


Bei der metaphorischen Verwendung von Bildern aus der Natur für Lernen und Schule muss man gewiss zurückhaltend sein. Schließlich verlangt die Rosenzucht nicht nur ein hohes Maß an Fachkenntnissen, sondern auch eine besondere Disziplin. Aber „Sekundärtugenden“ wie Disziplin, Sauberkeit, Ordnung, Pünktlichkeit, Gehorsam usw. wurden für zwölf Jahre der deutschen Geschichte missbraucht. Und doch gibt es ohne sie keine Erfindung, keine Entdeckung, weder Arbeits-, noch Lernerfolg und erst recht keine Schulreform. Schwierig wird es einfach mit dem wohl typisch deutschen Hang zur Übertreibung. So werden noch immer da und dort die Sekundärtugenden zu Werten an sich. Und wo das passiert, da kommt es (einmal mehr) darauf an *„die Kunst, nicht (das Falsche) zu lernen“*, zu kultivieren. Dafür ist die edle Rose ein schönes Symbol. Kümmern wir uns also um die Rosen und ihre immer neuen tollen Varianten und sorgen wir dafür, dass das Problem der Blattläuse auf möglichst intelligente und natürliche Weise klein gehalten wird, damit wir uns nicht immer wieder mehr um die Blattläuse als um die Rosen kümmern müssen! Und vergessen wir nicht Lynn Dhority!


Ich habe da zwei Ausrufezeichen gesetzt, mehr für mich selbst und meine eigene Konstruktion gedacht. Selbstdisziplin ist ja immer besser als diejenige, die wir von den Kindern in der Schule einzufordern pflegen. „Ich kann“ hört sich besser an als „du musst“. Ideal wäre, wenn unsere Selbstdisziplin und unsere Empathie zusammen harmonieren würden wie Rose und Lavendel für einen blühenden Garten des Menschlichen in jeder Schule.


###Bambus, Brombeer-, Windenranken###


Der Sommer lockt in den Garten. Da ist viel autopoietische Power, wo man hinschaut. Gestern beim Rasenmähen fielen mir zum Beispiel kleine Bambustriebe mitten im Rasen auf. Bei näherem Hinsehen schlagen sie aus daumendicken Rhizomen aus, die sich inzwischen eine Handbreit unter der Oberfläche schon gute fünf Meter weit von der eigentlichen Pflanze am kleinen Teich entfernt ihren Weg gegraben haben. Ich denke es war Mao, der seine Ideen mit dem Bild der Rhizome verband. Den starken unterirdischen Bambustrieben gleich sollten sie sich verbreiten und all überall ausschlagen. Na ja, wenn ich diesem Geschehen in meinem Garten tatenlos zusehen würde, wäre der Bambus wahrscheinlich inzwischen – es handelt sich um die Gattung Monstera – zur Herrschaft über den Garten und seine Menschen aufgestiegen und ich könnte höchsten noch den einen oder anderen Trampelpfad durch die vier Meter hohen Bambuswedel frei halten. Wenn doch die Visionen von der besseren Schule sich ein wenig an der Kraft dieses Bambus orientieren könnten! Aber mit dem Marsch durch die Institutionen, wie ihn die 68-er in Anlehnung an Maos Lehren versuchten, ist es ja auch nicht so viel geworden. Der Anpassungsdruck war den meisten Spontis von einst viel zu groß. Um die Schulen herrscht seitdem der inzwischen mehr als dreißigjährige Bildungskrieg und **in** den Schulen sind kräftige Bambussprossen aus frischen Rhizomen so selten wie Orchideen in der landwirtschaftlichen Kulturlandschaft. Da hält sich (Verzeihung, Kolleginnen und Kollegen, die ihr das vielleicht lest) der Schulmief vergangener Zeiten noch immer in den Klamotten, wo man ihn riechen kann, und in den Köpfen, wo er unsichtbar und geruchlos bleibt, während die Akteure Rennmäusen gleich in den Laufrädern strampeln, „Reform, Reform“ hechelnd. Erholsame Ferien!


In einem Nachbargarten sind inzwischen Brombeeren dabei, die Herrschaft über Rosen und Weigelien, Hibiskusse und Kolwizien, sogar über den wiegenden Sommerflieder anzutreten. Nur ein paar wilde Nachtkerzen heben ihre gelben Köpfe aus dem Gerank, die anderen Blumen sind verschwunden. Ranken nehmen sich jeden Strauch als willkommenes Klettergerüst und oben angekommen, schießen sie weit in die Gegend und über die Hecke hinweg bis in unseren Garten. Dort senken sie sich (wenn sie dürfen) zu Boden und schon bald halten sie sich mit kräftigen frischen Wurzeltrieben am Boden fest. Brombeeren verfolgen eine andere Strategie als der Bambus. Sie nutzen mit großer Leichtigkeit die freie Luft und konstruieren sich ihre eigene Welt, mit Stacheln an Trieben und sogar unter den Blättern bewehrt. Wer ihnen zu Leibe rückt, muss sich vorsehen. Brombeeren wären wegen der ungeheuren Vitalität ein kräftiges Vorbild für die Schulvisionen, wenn sie denn nicht die scheußlichen Stacheln hätten, mit denen sie sich sehr verletzend ihren Weg bahnen. Schließlich samen sie auch noch aus, eine weitere Verbreitungsstrategie des Systems Brombeere, bieten ihre Früchte den Vögeln und Mardern an, welche die Samen mit ihrer Hinterlassenschaft in der Landschaft verbreiten.


Im nördlichen Teil des Gartens halten sich hartnäckig einige Zaunwinden. Die haben die vielfältigsten Strategien zu ihrer Arterhaltung entwickelt. Sie treiben wie der Bambus meterlange unterirdische Rhizome, schleichen meterweit wie die Brombeere über die Oberfläche, sich überall einwurzelnd, wo auch immer eine Gelegenheit dazu ist. Wenn ihre Ausläufer eine Gelegenheit zum Klettern erreichen, etwa einen Zaun, ranken sie in die Höhe und öffnen ganz oben ihre niedlich anzusehenden weißen Blütenkelche. So hat ihnen der Zaun zum Namen verholfen, aber in Wirklichkeit sind sie überall. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Biologe Maturana an solchen Phänomenen seine theoretischen Überlegungen zu Wahrnehmung und Sinnestäuschung entwickelt hat. Wenn die Wahrnehmung nicht radikal (Radix) genug ist, führt sie geradezu zwangsläufig zur Sinnestäuschung und zur falschen Annahme, man könnte durch Entfernung der Ranken am Zaun oder der oberirdischen Ausläufer die Winde ausrotten. Nicht einmal durch Ausgrabung der weitläufigen Rhizome ist das möglich; denn die Winde hat Wurzeln, die weit in den Boden hinab reichen, mindestens vierzig bis sechzig Zentimeter je nach Bodenqualität.


Nur ein Visionär wie Rudolf Steiner wusste von einer Methode, wie man den Winden effizient begegnet. Man soll die Samen ernten und diese in einer Vollmondnacht, in der gleichzeitig die Venus am Himmel erstrahlt, in einer Schale verbrennen. Anschließend soll die Asche aus diesem Feuerritual im Garten überall dort verstreut werden, wo bisher Winden gewachsen sind. Damit rotte man sie aus. Heiliger Strohsack! Man sieht förmlich Miraculix nächtens durch Gärten schleichen! Systeme über Systeme! Ob die Methode wirkt?


Ich genieße ehrlich gesagt die Vollmondnächte in anderer Weise. Erst recht, wenn auch noch die Venus erstrahlt. Und was die Winden angeht, so rücke ich ihnen ganz traditionell und mal mehr, mal weniger radikal zu Leibe wie auch dem Bambus und den Brombeeren, wobei ich nichts gegen diese vitalen Gartenbewohner(innen) habe, sie sind mir nur ab und zu lästig, wie mir gelegentlich die bellenden Hunde auf den Geist gehen. Und immer im Bewusstsein: Unkraut vergeht (Gott sei Dank!) nicht. Die Welt wäre sehr viel ärmer ohne Wildkräuter und -sträucher und natürlich auch ohne Hunde.


Ich verabschiede mich von meinem Kehrwochenerlebnis mit einem Gruß aus dem Sommergarten. Es hat Freude gemacht, den Kehrbesen zu schwingen. Nun bin ich schon gespannt, an wessen Tür er morgen und in einer Woche und danach hängt und freue mich auf immer wieder neue und inspirierende systemische Gedanken. Ich grüße noch einmal Kronos und Kairos und alle, die zufällig oder absichtlich meinen Kehricht angeschaut haben und noch anschauen werden und sage tschüss in die weite Welt und bis in die Wälder Kanadas

Horst Kasper