Frauen führen besser

Mein Geleitwort zu "Frauen führen besser"


Endlich! Ein lange überfälliges Buch, es ist geschrieben und publiziert! Dass Frauen besser führen – nicht alle und nicht immer, und manchmal führen auch Männer gut –, ist dem sorgfältigen Beobachter schon lange klar. Doch dies wird öffentlich kaum diskutiert. Es scheint ein tabuisiertes Thema: Wer es anspricht, muss mit Beschimpfungen rechnen (das ist auch meine eigene Erfahrung, nachdem ich in einem Blog diese Binsenweisheit verkündet habe).
Das meist hoch emotional (manchmal auch von Frauen) geäußerte Gegenargument lautet: »Es gibt nur gute oder schlechte Führungskräfte, und deren Fähigkeiten haben nichts mit dem Geschlecht zu tun.« Daher sei auch eine Quote für Vorstände und Aufsichtsräte gefährlich, weil Frauen dann nicht mehr aufgrund ihrer Kompetenzen in Leitungspositionen aufsteigen würden, sondern aufgrund ihres Geschlechts. Doch das ist – man muss es so unmissverständlich ausdrücken – Quatsch, eine Scheinlogik, die lediglich Beleg der Unkenntnis des Funktionierens von Organisationen und Karrieremustern ist. Der erkenntnis- wie organisationstheoretische Irrtum, der dieser Argumentation zugrunde liegt, besteht in der stillschweigenden Annahme, der Aufstieg einer Person in eine Leitungsposition beweise deren Führungskompetenz. Da die überwältigende Mehrheit derjenigen, die solche Stellen innehaben und -hatten, in der Vergangenheit – wie auch aktuell immer noch – Männer waren und sind, wird daraus abgeleitet, dass deren Verhaltensmuster die Realisierung guter Führungspraxis sei.
Diese Logik folgt einem naiv-darwinistischen Muster: Der Fitteste kommt an die Spitze. Die Kriterien der Fitness leiten sich dann von den Qualitäten der Fitten, also der Männer, ab usw. Frauen, die es an die Spitze von Unternehmen oder anderen Organisationen schaffen wollen, müssen sich daher – auch dies eine stillschweigende Folgerung – so verhalten wie Männer. Daher versuchen Frauen, die in deutschen Unternehmen Karriere machen wollen, sich als Männer zu verkleiden: Das beginnt beim dunkelblauen Hosenanzug und hört auf bei der Verhüllung bestimmter Regionen des eigenen Stammhirns, d. h. ihrer emotionalen und sozialen Intelligenz. Dieses organisationskulturelle Muster wird unter anderem dadurch am Leben erhalten, dass akademische Betriebswirte wie auch manche große Beratungsfirmen immer noch ihren Studenten und Kunden die – keiner evidenzbasierten Forschung standhaltende – irrige Idee vermitteln, Management sei eine Art Naturwissenschaft, und es gebe die eine, rationale Methode des Entscheidens. Vernünftige Führung und modernes Management müssten der von ihnen definierten Rationalität folgen, und daher spielten emotionale und soziale Kompetenzen keine wesentliche Rolle.
Da biologistische Erklärungen sich heute wieder einmal – es gibt da in der Geschichte regelmäßig wechselnde Wellenbewegungen – besonderer Beliebtheit erfreuen, ist es populär, den Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Entscheiden biologisch zu erklären. Das macht z. B. die New York Times, wenn sie ausführlich über Studien berichtet (29.10.2021), nach denen Frauen als Investoren höhere Renditen erwirtschaften als Männer. Die zitierten Autoren und mit ihnen die NYT führen dies auf die Wirkung des Testosterons zurück: Es reduziere die Furcht, steigere die Gier und trage, das dürfte generell der entscheidende Faktor sein, zur Entstehung eines unangemessenen Selbstvertrauens (»Overconfidence«) bei: »It does wonderful things for muscle mass and reflex time but doesn’t do much for judgment.«
So in etwa könnte wohl auch der Unterschied im Führungsstil von Männern und Frauen charakterisiert und erklärt werden. Aber man braucht keine biologischen Erklärungen, denn diese Verhaltensmuster lassen sich auch durch eine unterschiedliche Sozialisation erklären. Frauen zeigen sich zögerlicher, sind nicht so verdammt schnell mit ihren Entscheidungen, kosten Ambivalenzen mehr aus, d. h., sie leiden mehr unter ihnen, sie reduzieren die Komplexität der Welt nicht in so simplifizierender Weise, wie das viele Männer tun. (Ja, ja, ich gebe es zu: Ich pauschalisiere und spitze zu und werde dahher vielen männlichen Führungskräften nicht gerecht.) Aber es sind ganz wichtige Merkmale, die vermeintlich den Charakter, vor allem aber das Entscheidungsverhalten von Menschen unterscheiden – ob es nun Männer oder Frauen sind. Allerdings gewinnen die hier (und auch allgemein) Frauen zugeschriebenen Eigenschaften gerade im Blick auf Führungsfragen eine zentrale Bedeutung. Sie werden im Unternehmens- und Organisationskontext meist negativ bewertet, sind aber – und das ist das eigentlich Brisante – Qualitäten. Denn die Bereitschaft, Ambivalenzen zuzulassen, und die Toleranz gegenüber Ambiguität sind wesentliche Faktoren von Intelligenz bzw. Voraussetzung intelligenten Entscheidens. Wenn es um Fragen geht, deren Antworten nicht berechenbar sind, weil sich immer erst in der Zukunft erweist, ob eine hier und heute getroffene Entscheidung richtig und sinnvoll ist, sind das Abwägen von Optionen, das Aushalten von Ambiguität und das Zulassen von Ambivalenzen entscheidend für erfolgreiches Entscheiden. Schnelles Entscheiden kann in akuten Gefahrensituationen das Überleben sichern, wenn aber Zeit zur Reflexion und das Einbeziehen unterschiedlicher Perspektiven gegeben ist, dann ist es dumm, schnell zu entscheiden. Die viel gepriesene Entscheidungsfreude mancher »Macher« ist daher nur in der Krise eine Qualität, wenn Gefahr besteht und schnelles Handeln nötig ist. Für den Normalbetrieb einer Organisation, auch deren kontinuierliche Weiterentwicklung, ist sie destruktiv.
Der andere Umgang mit dem Faktor Zeit bzw. der Zeitdauer von Entwicklungsprozessen zeigt sich nicht nur im Führungsstil von Frauen und Männern, sondern auch in den unterschiedlichen Erfolgsstrategien langlebiger Familienunternehmen vs. börsennotierter Unternehmen. Auf der einen Seite wird Entscheidungen ein Zeithorizont zugrunde gelegt, der die Enkelgeneration in den Blick nimmt (»Enkelfähigkeit«), auf der anderen Seite wird gebannt auf Quartalsberichte und aktuelle Reaktionen von Analysten geschaut. Daher scheitern erfolgreiche Topmanager von börsennotierten Unternehmen nur zu oft, wenn sie als Fremdmanager mit der Leitung eines großen Familienunternehmens betraut werden.
Der Unterschied der Verhaltensweisen und Entscheidungsmuster, die Männer und Frauen erfolgreich werden lassen, ist ganz ähnlich. Männer liefern im besten Fall kurzfristig blendende Performances, riskieren dabei viel und gewinnen dabei auch manchmal viel (scheitern aber auch gelegentlich grandios), Frauen hingegen sorgen im besten Fall für das langfristige Wohl und Überleben von Organisationen (gelangen dabei aber nur selten ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit).
Wahrscheinlich ist ja aber beides in der Führung nötig: das kurzfristige Aufwenden von Kraft, ja, auch Gier und fragwürdiges Selbstvertrauen (»Nichts Großes ohne Größenwahn!«) auf der einen Seite; und auf der anderen Seite geduldiges Abwägen von Risiken und Chancen des potenziellen Nutzens und der zu erwartenden Kosten von Entscheidungen – nicht nur aktuell, sondern auch in der Zukunft, und nicht nur im Blick auf Sachentscheidungen, sondern im Blick auf die Sozialdimension der Kommunikation, die Beziehungsebene. Denn – das wird immer wieder vergessen – Organisationen sind keine Maschinen, die nach dem Ingenieursmodell gesteuert werden könnten, sondern es sind soziale Systeme, das heißt, Kommunikationssysteme. Und daher ist Kommunikationskompetenz eine der zentralen Kompetenzen, die jede Führungskraft besitzen muss. Sie ist sogar noch wichtiger als rechnen zu können.
Das wird aktuell bereits in den vielfältigen »New Organizing«- Modellen deutlich und umzusetzen versucht, wo durch neue Kommunikationsmuster – fern der Hierarchie – z. B. die Intelligenz sozialer Prozesse, von selbstorganisierten Gruppen etc. genutzt wird. Die Welt ist so komplex geworden, dass die Kompetenzen jedes Einzelnen überfordert sind, um die lebenswichtigen Entscheidungen für Unternehmen zu treffen. Zur Organisation solcher Selbstorganisationsprozesse – denn sie finden nicht spontan statt – bedarf es spezifischer Führungsfunktionen, und dies sind spezifische soziale Kompetenzen. Insgesamt spricht, um das Stichwort noch einmal aufzunehmen, viel für eine Quotenregelung. Bislang werden deutsche Unternehmensvorstände immer noch nach dem nicht mal mehr in Saudi-Arabien praktizierten Prinzip »Frauen dürfen nicht ans Steuer!« besetzt. Eine Regelung, die es selbstverständlich werden lässt, dass Frauen in Führungspositionen sind, würde generell die Intelligenz von Führung erhöhen und die Qualität der Entscheidungen aller Wahrscheinlichkeit nach steigern. Sie würde aber – um hier dem Mann-Frau-Unterschied zu guter Letzt etwas entgegenzusetzen – sowohl den Männern in solchen Führungsgremien erlauben, ihre »weiblichen«, als auch den Frauen ihre »männlichen« Qualitäten zu beweisen.
All das wird im vorliegenden Buch natürlich weit fundierter und durch Daten und theoretische Reflexionen gestützt von Ute Clement dargestellt, als es hier in einem Geleitwort geschehen kann. Jeder, ob Mann oder Frau, der oder die meint, es gebe nur gute Führung und keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen in der Art, wie sie dies tun, sollte das Buch lesen, lesen müssen: eine Art »Impfzwang« gegen dysfunktionelle Ideen über Führung.


Fritz B. Simon