REVUE Nr 13, Transformation. Feedback zu Gilgamesh und Christeene 2

REVUE, Magazine for the next society. Transformation. Nr 13. Sommer 2013


REVUE Editorial:

„... Die REVUE ist ein Resonanzraum für all diese Stimmen, in dem immer wieder die Frage nachhallt: ist eine Next Society eher als Wiedereinführung verlorener Möglichkeiten zu verstehen – und weniger als deren Ablösung? Wir wären auch auf Ihre Antworten gespannt...“


Feedback:


Ich beziehe mich hier auf diese „Wiedereinführung“ - zeichne einen in REVUE gespannten Bogen nach, um diesen - ihn inhaltlich ergänzend – mit einem Plädoyer zu beschließen, und damit sich verlierende, beinahe schon verlorene Möglichkeiten in Erinnerung zu rufen.


Der skizzierte Bogen:


GILGAMESH, übersetzt von William Muss Arnolt 1901.


CHRISTEENE, skype-geviewt von Ludwig Plath (*Zitate)


Transformation:


Ja, besser ein Umbau, der also jederzeit und immer schon in vollem Gang ist, dessen Tempo wir teils mitbestimmen, teils gezwungen sind, uns ihm je nach Not, oder Lust und Laune anzupassen - oder auch nicht. Dessen MARKEN es jedoch verdienen unter die Lupe genommen zu werden. Das Vorhersagegeschäft blüht, bedient es doch eine Art Angstlust. Die Lust und Angst vor Dingen und Voraus-Sichten, die möglich erscheinen, doch so niemals eintreffen. Wer kann im Jahr 1923 Hitler voraussagen? Und was verhindert ihn wenigstens 1933? Tief des Nachts passierte die REVUE Nr 13 vor meinem inneren Auge Revue. Die Gabe der Voraussage bedeutet ja immerhin Chance auf virtuellen Liebesgewinn aus Vorhersehen von Möglichem oder noch nicht Sichtbarem. (Aber halt nicht Liebes-Gabe und Liebes-Gewinn atmend, aus Fleisch und Blut und hier und jetzt), dachte ich mir.

Zwischen – Gilgamesh - und – Christeene - und - Aus der Zeit fallen - aufgespannt der ganze Bogen einer Abwesenheit.


Wer oder was ist Gilgamesh?


Gilgamesh, zu zwei Dritteln Göttlich zu einem Drittel Mensch, schön von Angesicht und Gestalt, ist König von Schafpferch-Uruk und Hürden-Uruk. Er gebärdet und gebärt sich gewalttätig: er lässt die Männer der Stadt in brutaler Fron eine titanische Stadtmauer rund um Uruk-Markt und Uruk-Gart aus dem Boden stampfen. Er will sich einen Namen in der Zeit machen. Dieser wirkt noch 5000 Jahre später poetisch erschütternd, mächtig befremdend, Furcht und Ehrfurcht heischend nach. Männer und Frauen beschweren sich. Dem urbanen ehrgeizigen Gilgamesh wird von den Göttern - zur Besänftigung chronischer Unruhe – ein lang erträumter Gefährte verordnet. Aus einem Klumpen Lehm entsteht das träumende Naturkind Enkidu. Dem schnell erwachsenen Wilden wird vom Jäger und von der Hure Shamhat an der Tränke aufgelauert. Shamhat verführt Enkidu, zivilisiert ihn, und bringt ihn nach Uruk-dem-Schafpferch zu Gilgamesh. Ihre erste Begegnung ist ein legendärer Zweikampf. Auf seinem Höhepunkt brechen die zwei voreinander in die Knie. Sie erkennen, umarmen und küssen einander. Enkidu preist Gilgameshs gewaltige Stärke. Gilgamesh überschüttet Enkidu mit Geschenken. Enkidu der Wilde erkrankt in der Zivilisation an Überdruss und Langeweile. Gilgamesh, in ungestillter Ruhmsucht und unvermindertem Ehrgeiz, verführt Enkidu nun zu Freveltaten im Zedernwald. Erfüllt von strotzendem Mutwillen und zögernder Ungewissheit, begeben sie sich auf den Weg und machen einander abwechselnd Mut. Sie erschlagen Chumbaba den Hüter des göttlichen Haines. Im nächsten Gemetzel erstechen sie gemeinsam den blind wütenden Himmelsstier der von Enkidu öffentlich geschmähten Ischtar. Enkidu hat damit vor den Göttern sein Leben verwirkt. Es weint Gilgamesh um den Tod des Geliebten. Unsagbare Furcht bedrückt ihn. Er will nicht so werden wie Enkidu. Gilgamesh will nicht sterben. Trauer und Todesangst überschatten seine Tage. Er beschließt, bis ans Ende der Welt zu gehen, und die Unsterblichkeit gewinnen. Seine Schreckenswanderung führt ihn über die kargen Weiten der Steppe, durch die schwarze Nacht des Berges Mashu, über das wilde Meer, und durch das flache Wasser des Todes, bis hin zu seinem berühmten Vorfahren Utnapishtim und der Frage nach der Unsterblichkeit. Die Nachtmeerfahrt macht ihn härter, dann 7 Tage und 7 Nächte todkrank und ohne Besinnung, und entlässt ihn schließlich ohne jede Illusion. Er gewinnt sie nicht, die Unsterblichkeit. Aber Einsicht in die Notwendigkeit seiner Bestimmung. Und so eine gewisse Weisheit; und schließlich die Anerkennung seines Volkes.


Gilgameshs Suche und Läuterung ist Gegenstand der Erzählung auf 12 mit Keilschrift bedruckten Tontafeln. Doch eigentlich ist es seine kaltblütige Konfrontation mit der Göttin, die ihn durch die Jahrtausende unsterblich macht. Ihre Abwertung, - das heißt zugleich die Abwertung der empirischen Frau -, zeichnet den zentralen Konflikt, um den es hier geht. Nach seiner Rückkehr wird Gilgamesh in Uruk-Markt eine machtvolle Zikkurat, für Ischtar errichten. Er hat ihren Kult des Hieros Gamos verworfen und ihre Tempelpriesterinnen zu Dirnen und Huren gemacht, doch nun wird Sie - qua ihrer nun vollkommenen Abwesenheit - die symbolische Ordnung seiner Herrschaft garantieren.


Das Liebes-Werben der Ischtar, ihre Abweisung durch Gilgamesh, und ihre Beschimpfung durch Enkidu, ist Inhalt der sechsten Tafel. Sie bildet die zentrale semantische Achse, um die sich die Heldentaten des Gilgamesh drehen. Die Zurückweisung Ishtars, ihre Schmähung, die Verweigerung der Heiligen Hochzeit bilden Auftakt und Übergang zur next society. Tafel 6 enthüllt den geschlechtspolitischen Kern, als die beeindruckende Botschaft dieser ältesten überlieferten Schrift.


Das Epos des Gilgamesh beschreibt und bewirbt erstmals einen jener imposanten Heldenmythen des Frühpatriarchats. Man darf den Subtext um die wahre Hauptfigur Ischtar getrost mit Robert Ranke Graves lesen. (Robert Ranke Graves, Griechische Mythologie I und II Rowohlt 1982) Man kann dann nachvollziehen und wissen, was davor war. Wir haben hier die früheste bekannte Schrift, und den ältesten patriarchalen Übergangsmythos vor uns. Er begründet beredt den schon überstandenen Umbau, dass es eine Transformation gegeben hat, und es eine nächste Gesellschaft schon gibt, und diese nun patriarchaler Helden, - und, eines Tages schließlich - auch eines monotheistischen männlichen Vater-Gottes bedarf, damit alles in dessen Ordnung kommt. Lange bevor der Hauptfigur ein beeindruckendes Epos gewidmet wird, mit der minutiösen Beschreibung des Aufbegehrens des Helden gegen die Göttin und deren offene Schmähung, existiert eine vorherige Gesellschaft und eine vorherige Kultur. Eine Weibliche. Wie immer diese im einzelnen ausgesehen haben mag, sie lässt sich über ihre steinernen Bildwerke nachvollziehen. Doppelt interessant ist gerade deshalb Gilgameshs zentrale Tirade. Es fällt nicht schwer, sich zusammenzureimen und bildhaft vorzustellen, dass Gilgamesh’s Rede gegen Ischtar einige Körner an überlieferter Erfahrung und Wahrheit der Mann-Frau-Geschichte enthält, und vom Dichter des Epos nicht einfach - mutwillig oder gar bösartig - aus dem Finger gesogen wird. Das Epos ist ein beispielloses Psychogramm des Umbruchs in der Geschlechterordnung. Es verweist auf den tiefsten Grund eines geistigen, psychischen und physischen Befreiungsschlages.


Hier geht’s um die mangelnde Anerkennung männlicher Geistes-, Erfindungs- und Körperkraft. Um die Negierung des unschätzbaren Wertes mannigfaltiger Schutz -, Bau-, und Dienstleistungen. Es geht ja umgekehrt um höchste Ansprüche. Um Forderungen und Erwartungen, bei Ignoranz männlicher Loyalität. Bei unumwundener Abwertung seiner Fähigkeiten, Willenskraft, Dauerhaftigkeit und Würde. Negation kann für den Augenblick herausfordernd wirken. Auf Dauer erweckt sie Empörung.


Der archaische Jahreszeiten-Zyklus, Des Helden Tod und Auferstehung - die kultische „Nachtmeerfahrt“ in die Jenseitswelt (die ursprünglich seinen zeremoniellen gewaltsamen Tod bedeutet) scheint nun nicht mehr des Helden Begehr, nicht mehr seine dialektische Bestimmung zu sein. Seine jährliche Inszenierung als neugeborenes Kind, dann als Heros-König, der die kultische Heilige Hochzeit mit der Göttin feiert, und sein Tod - verlangt nach Änderung und Wandel. Im Epos des Gilgamesh neigt sich der Jahreszeiten Kult der Göttin - mit seiner Verwerfung durch Gilgamesh - explizit und definitiv dem Ende zu. Wie alle einst matriarchalen Kulte wandelt er sich allmählich zum bedeutungsleeren Spektakel, wie später die griechischen „Orgien und Mysterienspiele“ Doch zeremonielle Kultur hält sich weiterhin in Erinnerung - als unverständlicher, partikulärer, vorhistorischer Restbestand - nun nur noch als dümmlich erscheinende Folklore.