Hunde

Mehrstimmiger Hundegesang. Draußen ist es noch dämmerig. Zu früh! Mir fällt der systemische Kehrbesen ein. Aber so brutal aus dem Schlaf gerissen zu werden, da kommen die systemischen Gedanken nur langsam in Fahrt. Ich denke an Harry S. Truman, den 33. Präsidenten der USA: „Wenn du einen Freund brauchst in Washington, dann kaufe dir einen Hund.“ Washington scheint überall. Hier in der Gegend vermehren sich die Hunde ziemlich rasant. Unsere Nachbarin zum Beispiel, Psychotherapeutin ihres Zeichens (nichts gegen Psychotherapeuten!), brauchte zuerst einen Freund. Ein klitzekleines niedliches Hundemädchen, das allerdings schnell zu respektabler Berner-Sennenhund-Mischlingsgröße heranwuchs. Kaum war die vierbeinige Freundin halbwegs erwachsen, brauchte ihre Herrin einen zweiten Freund, einen ausgewachsenen Rüden in ähnlicher Größe aber von etwas anderer Gestalt. Der gibt gelegentlich seinem Urahn alle Ehre. Er kann dann längelang echt wölfisch auf einem hohen Ton verharrend heulen. Über solche Hunde- Eigenarten kann ich herzlich schmunzeln. Aber ein wütendes Gebell um halb sieben morgens oder um Mitternacht aus einem Nachbargarten, das erschwert freundschaftliche Menschengefühle.


Knapp zwei Stunden später: Jetzt bewahrheitet sich Harry S. T. ’s Weisheit. Es treffen sich drei Damen und fünf Hunde zum täglichen Spaziergang (die hiesigen Elfen, liebe Frau Inneken): Freundschaft. Hundefreunde bekommen sofort Kontakt zu ihresgleichen, manchmal sogar zu anderen Menschen. Der Hund als Kommunikations-Animateur. Die Grenze verläuft aber manchmal unsichtbar zwischen Mensch mit und Mensch ohne Hund.


Doch hier? Kommandos schallen durch die Luft: „Hierher!“ und der Name (Hundenamen werden aus Gründen des Datenschutzes nicht genannt). Die Vierbeiner, darunter eine riesige Dogge, denken nicht daran, sich den überaus hoch tönenden Befehlen unterzuordnen. Was sind das für Freunde! Schlecht erzogen, denke ich. Noch in einiger Entfernung kann sich kein Mensch dem Ereignis entziehen. Der Hund als Teil der Verlärmung unserer Umwelt. Vielleicht spielen Hunde im Leben mancher Therapeutinnen (und Therapeuten) eine besondere Rolle. Warum werden überhaupt immer mehr Menschen zu Hundefreunden? Mir hat sich das bisher bei aller Liebe zu den Tieren nicht erschlossen. Und dass ich unseren Garten „hundesicher“ machen musste – wegen fremder Leute ungehorsamer Viecher, fördert meine Verständnisfähigkeit nicht unbedingt. Nun gelte ich wohl als Hundefeind. (Ich und ein Hundefeind! Da denke ich wieder an die Schwierigkeit mit Wahrnehmung und Sinnestäuschung von neulich). Dabei sind mir Hunde nur manchmal einfach lästig. Im eigenen Garten besonders, wenn einer völlig unvermutet neben mir steht und bellt, als hätte ich da nichts verloren. Aber das habe ich ja nun abgestellt.


####Hilfslehrer Hund####

Vielleicht gibt es gar eine neue Richtung der Therapie wie die *tiergestützte Pädagogik*. Der Kollege Retzlaff zum Beispiel, Besitzer zweier gemütlicher Labradorhündinnen und Lehrer an der Hauptschule Sulzburg, eine Autoviertelstunde von hier, nimmt seine Tiere mit in den Unterricht und hat mit bestem Erfolg gewaltbereite Schüler und ungewöhnlich unruhige Klassen zu einem neuen, nie für möglich gehaltenen menschlichen Miteinander geführt. Da erweist sich der Hund doch als wahrer Menschenfreund. (Ich sende die Nachricht von den klugen Hunden gerne bei dieser Gelegenheit in die Weiten des Webs, wo sie möglicherweise irgendwo einhakt und fruchtet. Sogar DIE ZEIT, Nr. 24/02, hat dem *„Hilfslehrer Hund“* einst einen ausführlichen Artikel gewidmet). Man sollte aber Hunde unbedingt mögen und von klein auf mit ihnen verbunden sein, meint Kollege Retzlaff. Der Ärger über das unsanfte Gebell in der Frühe hat sich offenbar inzwischen systemisch gewandelt. Einsehen mag ich trotzdem nicht, weshalb ich neuerdings eine tägliche Beeinträchtigung meiner Lebensqualität hinnehmen sollte, nur weil andere Leute die Freiheit ihrer vierbeinigen Freunde höher einschätzen als die Meine.


Bleibt die Frage, warum sich heute äußerst zarte Personen von Frauen wahre Riesenhunde zulegen, selbst wenn sie kaum die Kraft haben, sie an der Leine zu halten, vom Respekt ganz zu schweigen, den sie sich nicht verschaffen können. Machtbedürfnisse und Statussymbole? Schutzbedürfnis? Wunsch nach einem lieben Wesen, dem man vertrauen kann in einer Zeit, in der manche menschlichen Beziehungen immer kürzere Halbwertzeiten erleben? Viele Gründe, dass Menschen massenhaft auf den Hund kommen! Herr Greiner aus Ötlingen bei Lörrach, den sie *„Hundeflüsterer“* nennen, er wird es wissen. Er hat viel damit zu tun Menschen zum besseren Verständnis im Umgang mit ihren Vierbeinern zu verhelfen. Das Verhältnis von Mensch und Hund ist ja äußerst vielfältig an Möglichkeiten, wenn ich nur an die Blindenhunde, die Rettungshundestaffel, die Meute auf der Jagd oder die Lawinenhunde denke. Von der Vielfalt der Rassen und ihren Eigenheiten ganz zu schweigen.


Zeigt nicht der geweitete Blick eine Vielfalt von „Mensch-Hunde-Systemen“? Wäre das nicht eine systemische Forschungsaufgabe für Louis Kleins Soziokybernetiker (Kehrwoche vom 4.-10. Juli): Tier und Halter, Hund und Mensch als Konstruktion ihrer gemeinsamen Wirklichkeit? Als Weg zur Bescheidenheit und Ausweg aus dem von Herrn Klein beschriebenen Hang zur Weltverbesserung. Schließlich scheint ja die Basis der Verständigung zwischen „Herr und Hund“ die gemeinsame limbische Ausstattung und damit die Fähigkeit zu verwandten Gefühlen zu sein. Die menschliche Sprache ist da aber wohl nur bedingt hilfreich. Das läuft irgendwie nonverbal oder gar nicht. Die Lernfähigkeit ist jedenfalls gegeben! Aber wenn was schief geht, endet es eben im Alltag oft im Gebrüll. Wie in der Schule. Dabei hilft, wie ich sehen und hören kann, das menschliche Gebrüll nicht gegen das der Hunde, so wenig wie das des Lehrers gegen das seiner Schüler. Ein weites Feld voller Hundegebell und vergeblichem, wenn auch manchmal hilflosem Bemühen des Menschen, dem Hund ein Herr und ein Freund zugleich zu sein, damit auch dieser einer ist und nicht nur ein Tier, das man durch gelegentliches Füttern und Streicheln ein wenig zufrieden stellt. Fazit: „Wenn du einen Freund brauchst in Irgendwo, dann vergiss nicht, dass die Freundschaft zu deinem Vierbeiner erst noch von beiden Seiten gelernt werden muss, damit auch die Nachbarschaft ein wenig Freude an deinem Hund hat“, denke ich mir in Erinnerung an Harry S. T. Ich glaube nach wie vor an die Kunst (das Richtige) zu lernen, meinetwegen auch an die Kunst der gelingenden Konstruktion. Auch bei Hundefreunden.


Ein Tschüss bis morgen

Horst Kasper