Infrastrukturen

hnIn Italien ist eine Autobrücke eingestürzt, es gibt viele Tote, und die Vertreter der aktuellen Regierung versprechen die Schuldigen schwer zu bestrafen. Folgt man den Sendungen im italienischen Fernsehen, dann wird deutlich, dass diese Brücke schon lange für problematische gehalten wurde, weil ihre Konstruktion nicht mehr dem Stand der Zeit entsprach, nicht dem erhöhten Verkehrsaufkommen gerecht wurde, und ihr Zusammenfallen schon vor Jahren prognostiziert wurde.


Selbstverständlich werde ich mir hier nicht anmaßen irgendetwas zur Schuldfrage zu sagen, denn davon habe ich keine Ahnung. Mich interessiert viel eher die allgemeine Frage nach dem Umgang mit Infrastrukturen, der ja auch in Deutschland nicht unproblematisch ist.


Wenn man eine Theorie der Beobachtung zugrunde legt, dann kann man davon ausgehen, dass Infrastrukturen - seien es nun Brücken, Schulbauten, Glasfaserkabel, die Müllabführ, das Bildungs- oder Gesundheitssystem usw. - erst dann in den Fokus der Aufmerksamkeit gelangen, wenn sie nicht funktionieren, kaputt oder defizitär sind. Wer eine neue Brücke baut, schafft etwas Neues, von den Erwartungen Abweichendes, und sie wird vielleicht sogar nach ihm benannt (Ponte Morandi). Wer diese Brücke erhält, wird nicht wahrgenommen, es sei denn, es zeigen sich nicht zu übersehende Verfallszeichen oder die Brücke stürzt ein. Funktionierende Infrastrukturen werden als selbstverständlich vorausgesetzt und machen daher für den Beobachter erst mal keinen Unterschied. Was erwartet wird, bedarf keiner Erklärung. Dass  solche Strukturen - seien sie nun materiell oder sozial - aktiv erhalten werden müssen, damit sie funktionieren, und dass dies jemand tun muss, entgeht daher auch oft der Wahrnehmung. Ich habe diese Art von Strukturerhaltungsjobs "Hausfrauenarbeit" getauft, weil sie gewissermaßen den Archetypus infrastrukturerhaltender Arbeit darstellt ("Aufräumen", "Putzen" usw.). Da sie nicht oder nur bei Nichtfunktionieren wahrgenommen wird, wird sie gar nicht oder lausig bezahlt. (Sie wird deswegen wahrscheinlich auch mehr von Frauen als von Männern ausgeübt, die das ja gewöhnt sind und nicht so nach Aufmerksamkeit heischen...)


Analoges zum privaten Haushalt gilt auch für staatliche Infrastrukturen: Neubauten werden feierlich eröffnet, die Erhaltung von Strukturen bringt weder Ruhm noch Ehre, noch Wählerstimmen. Dennoch ist es eine der zentralen Aufgaben jeden Staates für derartige Strukturen zu sorgen. Dass in der BRD die "schwarze Null" trotz voller Kassen und billiger Kredite wichtiger zu sein scheint als der Erhalt von Schulen, Straßen und Brücken usw., ist ein Skandal, der nur dadurch erklärt werden kann, dass man durch das Renovieren von Brücken keine neuen Wähler gewinnen zu können glaubt. Es ist ein Politik- und Staatsversagen.


Auch wenn der Staat - zumindest der bundesdeutsche - sich in der Hinsicht keine Lorbeeren verdient hat, scheint das Alternativmodell, Infrastrukturen zu privatisieren, kein gangbarer Weg. Die italienischen Autobahnen sind in privater Hand. Wie will man von einer auf Gewinn für die Aktionäre ausgerichteten Organisation erwarten, dass sie genügend Geld in die Erhaltung maroder Strukturen steckt, statt Dividenden auszuschütten? In den USA kann man beobachten, was passiert, wenn private Unternehmen die Verantworung für eine Vielzahl solcher Infrastrukturen übernehmen. Private Gefängnisse haben u.a. dazu geführt, dass in keinem Land der Welt ein höherer Prozentsatz der Bevölkerung im Knast sitzt als dort. Auch die Mautstrassen sind in keinem guten Zustand. In England, wo das Schienennetz der Bahn privatisiert wurde, können die Züge ihre Höchstgeschwindigkeit nicht fahren, weil die Schienen das nicht aushalten. Auch in Deutschland ist das Bahnnetz in der Vorbereitung auf den Börsengang der DB radikal eingeschränkt worden. In Kanada, wo es so gut wie keine öffentlichen Verkehrsmittel auf dem Lande gibt, braucht jeder ein Auto...


Einer der wenigen Bereiche, wo m.E. die Privatisierung zu Vorteilen für die Bevölkerung geführt hat, ist die Telekommunikation. Der Wettbewerb der Telekomfirmen hat zu mehr Wahlmöglichkeiten geführt, und man muss nicht mehr Anträge stellen, die von Beamten in quälender Langsamkeit bearbeitet werden, wenn man ein Telefon braucht (was allerdings dazu geführt hat, dass man zwar schnell einen Vertrag aufgeschwätzt bekommt, danach der Service aber oft zu wünschen übrig lässt; aber dann kann man nach zwei Jahren wenigstens zur Konkurrenz gehen).


Die Konsequenz kann m.E. nur sein, sehr genau zu überprüfen, welche Art von Infrastrukturen auf jeden Fall in staatlicher Hand bleiben sollten. Wasserwerke werden - ein Signal, dass die Gegenbewegung zur Privatisierung Fahrt aufnimmt - wieder verstaatlicht und es werden wieder Stadtwerke gegründet, die für die Strom- und Wasserversorgung der Bevölkerung sorgen usw.


Märkte sind - das sollte endlich klar sein - weder prinzipiell gut noch prinzipiell schlecht. Sie sind nicht das Schweizer Messer zur Lösung aller Problemen der Allokation von Ressourcen, denn es gibt manchmal wichtigere Entscheidungskriterien als Profitabilität oder auch nur Kostengünstigkeit, z.B. die Sicherheit von Autofahrern auf Autobahnbrücken.