Krise des Kapitalismus

Der Kapitalismus steckt in einer Krise. Meines Erachtens hat das etwas damit zu tun, dass die Politik ihre gesellschaftliche Steuerungsfunktion (ohne Not) aufgegeben hat und sich den Kräften der "freien" Märkte untergeordnet hat. Das hat viel mit den akademischen Wirtschaftswissenschaften zu tun, deren Mainstream über lange Jahr die Deregulierung gepredigt hat, die Erhöhung des Shareholdervalues, die allgemeinen Vorteile der Globalisierung usw.


Aus (m)einer systemtheoretischen Perspektive war dies einem irrtionalen Vertrauen in die Rationalität von Märkten geschuldet. Was dabei durchaus ja ganz plausibel ist, ist die Tatsache, dass man Selbstorganisationsprozesse (die "unsichtbare Hand") nicht kontrollieren kann. Was allerdings nicht gesehen wurde, ist, dass in Selbstorganisationsprozesse generell zwei Tendenzen zu beobachten sind: Entweder sie sorgen für die Balancierung von Gegensätzen, oder sie verstärken Gegensätze. Die erste Tendenz sorgt für die Rationalität der Märkte, die zweite für ihre Irrationalität.


Dass die Unterschiede zwischen Arm und Reich, Nord und Süd, Oben und Unten immer größer werden, ist seit ein paar Jahrzehnten zu beobachten. Aber das war nicht immer so: Es gab (kurze) Phasen der Geschichte der Marktwirtschaft, in denen das nicht der Fall war. Es war eine Zeit, in der Märkte reguliert wurden. Nicht, dass ich ein Fan von Regulierung wäre. Aber es geht um die Einführung von Begrenzungen der Tendenz zur Verstärkung von Unterschieden. Eklatantes Beispiel sind die Finanzmärkte. Sie zu deregulieren war die Ursünde, die hoffentlich nicht zur Erbsünde wird.


Ich denken, dass nicht der Kapitalismus "an sich" das Problem ist, sondern dass das Vertrauen in die Rationalität von Märkten das Problem ist, welches im Moment zu gesellschaftlichen Verwerfungen führt, die zum Aufstieg solch merkwürdiger politischer Gruppierungen wie den Trump-Fans, der FPÖ, der AfD, dem Front National, der PiS usw. führt. Dass sie gewählt werden, kann m.E. aus Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Unterordnung der Politik unter vermeintliche wirtschaftliche "Zwänge" gesehen werden (Beispiel: Mehrheit für den Brexit, obwohl klar war, dass das volkswirtschaftlich nicht sehr schlau war - aber was schert den Einzelnen die Volkswirtschaft, wenn es in seinem Portemonnaie nicht stimmt).


Allerdings scheinen mir die genannte Parteien keine Rezepte für die Lösung des geschilderten Problems zu bieten, sondern Teufel durch Beelzebub austreiben zu wollen.


Zu dem Thema auch ein interessanter Artikel von W. Streeck:


Quelle: Soziologe Wolfgang Streeck: "Das kann nicht gutgehen mit dem Kapitalismus"