Macht

engl. power, franz. pouvoir m, ist das vom Verb abgeleitete Abstraktum von ahd. maht = »können, vermögen«. Die klassische Definition Max Webers (1922, S. 28) lautet: »Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht.« Die Bedeutungsvielfalt des Begriffs zeigt sich an griech. dynamis, exousia, kyros, arche oder kratos, die »Macht«, »Einfluss«, »Vollmacht«, »Herrschaft« und »Überlegensein« bedeuten, ähnlich lat. potestas, auctoritas, imperium und vis. Die enge Verbindung zwischen Macht, Gewalt und Herrschaft spiegelt sich engl. in power, might, strength und force sowie franz. neben puissance f, auch autorité f und force f.


In der Systemtheorie Niklas Luhmanns bezeichnet Macht ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium. Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien entwickeln sich im Verlauf der gesellschaftlichen (Gesellschaft) Evolution und reagieren auf das Problem der Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation. Sie leisten eine Verknüpfung von Konditionierung und Motivation, indem sie Annahme- und Ablehnungswahrscheinlichkeiten konditionieren und durch diese Selektivität gleichzeitig zur Annahme motivieren. Sie bauen auf der binären Codierung der Sprache durch das Ja-nein-Schema auf und beziehen die Beobachter der Kommunikation mit ein, die wiederum beobachten, unter welchen Bedingungen Kommunikation angenommen oder abgelehnt wird, und ihr eigenes Verhalten daran orientieren. Kommunikation mittels dieses Mediums kommt zwar überall in der Gesellschaft vor, jedoch hat sich um den Machtcode das politische System der Gesellschaft ausdifferenziert. Hier hat das Medium die Funktion, bindende Entscheidungen für die Gesellschaft zu generieren und ihre Durchsetzung wahrscheinlicher zu machen.


Durch diese Form der Kommunikation werden Selektionen übertragen. Gleichzeitig wird durch die Art der Selektion zur Annahme motiviert. Dabei muss unterschieden werden, wem von den Beteiligten, Alter oder Ego, die Selektion zugerechnet wird und ob als Erleben oder Handeln. Ohne dass auf ein Subjekt und seine Intentionen zurückgegriffen werden müsste, kann so Handlung als Konstruktion eines Beobachters, als besondere Zurechnungsform der Kommunikation also, verstanden werden. Macht bezieht sich auf das Problem der Handlungskoordination, auf den Fall, dass Ego die Kommunikation Alters als Kommunikation einer Entscheidung versteht und sein Handeln darauf bezieht. Damit kommt es aber nicht mehr auf den informationalen Gehalt der Kommunikation an, sondern darauf, wie Ego diese Kommunikation zurechnet.


Die Kommunikation mit dem Medium Macht steht unter der Bedingung doppelter Kontingenz. Zum einen muss entschieden werden, ob sich der eine Beteiligte des Machtmediums bedient, zum anderen ob der andere diese Selektionsofferte annimmt. Es geht darum, welche Alternative die Beteiligten vermeiden möchten. Der Machtunterlegene ist derjenige, der die Vermeidungsalternative vermeiden möchte. Auf der einen Seite wäre dies das Risiko, die Möglichkeit einer Sanktion zu wählen, die der andere nicht vermeiden will, auf der anderen Seite das Risiko, mit einer Sanktion konfrontiert zu werden, die er selbst vermeiden will. So dient die Kommunikation mit dem Medium Macht der Durchsetzung einer Handlungsoption, die auf der Vermeidung der Vermeidungsalternative beruht:


»Die Form der Macht ist nichts anderes als diese Differenz, die Differenz zwischen der Ausführung der Weisung und der zu vermeidenden Alternative« (Luhmann 1997, S. 356).


Das für Macht typische Sanktionsmittel ist die Gewalt in der Form einer Sanktion. Sie wird zunächst nur angedroht, ohne dass sie sofort verwirklicht würde. Das Motivationsmittel ist die Drohung, nicht die Gewalt selbst:


»Es wird eine Alternative konstruiert, die der Machthaber nicht zu realisieren wünscht, die aber für ihn weniger unangenehm ist als für den Machtunterworfenen, etwa Ausübung physischer Gewalt, Bekanntgabe einer unangenehmen Information, Entlassung. Das Medium Macht funktioniert nur, wenn beide Seiten diese Vermeidungsalternative kennen und beide sie vermeiden wollen« (Luhmann 2000, S. 47).


Deshalb ist es riskant zu drohen, denn die Drohung bindet auch den, der sie ausspricht.


Macht ist häufig mit Organisationen verbunden und in ihnen vorhanden. Die förmliche Organisationsmacht beruht auf Hierarchisierung und der damit verbundenen Weisungsbefugnis sowie der Möglichkeit der offenen oder verdeckten Drohung mit Sanktionen. Allerdings stimmt die faktische Macht in Organisationen in der Regel nicht mit der formalen Hierarchie überein. Zudem konstituieren hierarchische Strukturen auf der Seite der »Untergebenen« Gegenmacht. Dies gründet im Angewiesensein des »Machthabers« auf die Mitarbeit seiner »Untergebenen«. Deswegen ist der offene Machtkampf in Organisationen eher die Ausnahme als die Regel. Machtverhältnisse bestehen auf den unterschiedlichen Hierarchieebenen. Der unter Umständen daraus resultierende Konflikt kann sich als Kampf von Einzelnen oder Gruppen um Einfluss oder um Karrierechancen ausdrücken oder als Versuch, Einzelne oder Gruppen aus der Organisation zu exkludieren (Mobbing; Exklusion).


Schließlich finden sich Machtverhältnisse zwischen Organisationen und ihren Klienten. Problematisch wird dies insbesondere dann, wenn diese alternativlos auf Leistungen von jenen angewiesen sind. Zwar sind etwa in Behörden dem Entscheiden rechtliche Rahmenbedingungen zugrunde gelegt, die jedoch dem konkreten Entscheider einen gewissen Ermessensspielraum einräumen, der als Quelle machtförmiger Kommunikation genutzt werden kann, weil mit ihm die Möglichkeit gegeben ist, Leistungen zu gewähren oder nicht zu gewähren und dies als Drohmittel einzusetzen.


Helfende (Helfen) Beziehungen in Therapie oder Sozialer Arbeit sind strukturell asymmetrisch. Dabei verfügen die professionell Helfenden über Deutungs-, Definitions- und Entscheidungsmacht. Diese Arten der Macht speisen sich aus vier grundlegenden Asymmetrien, die in den helfenden Beziehungen und in den Organisationen, in denen sie bestehen, angelegt sind (vgl. Bobbert 2002, S. 145). Zunächst beruhen sie auf dem Wissensvorsprung der Professionellen hinsichtlich Diagnose und möglicher Therapie bzw. helfender Intervention, der vor allem Deutungs- und Definitionsmacht konstituiert. Hinzu kommt die Rollensicherheit innerhalb der Organisation, die den Klienten zumindest zuerst fehlt. Weiter sind die Professionellen selbst nicht von dem Problem betroffen, das der Klient zu bewältigen hat und das ihm einen Leidensdruck schafft. Schließlich entsteht aus der Abhängigkeit von helfenden Professionellen ein subtiler Druck, sich ihren tatsächlichen oder vermeintlichen Erwartungen anpassen zu müssen.


Zum Ausdruck kommen auf diesen Asymmetrien aufbauende Machtverhältnisse sowohl beim Aufbau als auch bei der Gestaltung von Hilfebeziehungen. Beim Aufbau der helfenden Beziehung zeigt sich dies in der Deklaration eines Anliegens zum »Fall«, welche die zu bearbeitenden Probleme aufgrund einer professionellen (stellvertretenden) Deutung definiert und mögliche Handlungsschritte nahelegt. Bei der Gestaltung der Beziehung verfügt der Professionelle über Entscheidungsmacht, dem Klienten helfende Ressourcen zu gewähren oder vorzuenthalten. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Professionelle explizit machtförmig kommuniziert, sondern ob der Klient dessen Kommunikation als machtcodiert versteht. Machtkonstellationen entstehen unter diesen Umständen entgegen den Intentionen des Professionellen.


Björn Kraus (vgl. Kraus u. Krieger 2011) unterscheidet in seiner Machttheorie zwischen »instruktiver« und »destruktiver« Macht. In anderer Terminologie lässt sich auch von Gestaltungs- und Verhinderungsmacht sprechen. Beide Formen von Macht lassen sich legitim oder illegitim einsetzen. Damit stellt sich die Frage der moralischen Bewertung des Gebrauchs von Macht. Sie wird im Bereich helfender Beziehungen unter dem Begriff des Paternalismus diskutiert. Intervention sind paternalistisch, wenn sie gegen die Wünsche und Interessen der betroffenen Person zu deren Wohl oder um des Schutzes Dritter willen durchgeführt werden oder durchgeführt werden müssen. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn zum Wohl eines Kindes (oder mehrerer Kinder) durch (sozial)pädagogische Maßnahmen oder durch Inobhutnahme massiv in ein familiäres Gefüge eingegriffen wird. Begründbar sind solche Interventionen nur dann, wenn die eingreifende Person dazu autorisiert ist, wenn sich Interventionsgrund und -ziel (Ziel) rechtfertigen lassen und wenn die Verhältnismäßigkeit der Mittel sichergestellt ist.


Verwendete Literatur


Bobbert, Monika (2002): Patientenautonomie und Pflege. Begründung und Anwendung eines moralischen Rechts. Frankfurt a. M. (Campus).


Kraus, Björn u. Wolfgang Krieger (Hrsg.) (2011): Macht in der Sozialen Arbeit. Interaktionsverhältnisse zwischen Kontrolle, Partizipation und Freisetzung. Lage (Jacobs), 2. überarb. u. erw. Aufl.


Luhmann, Niklas (1975): Macht. Stuttgart (Enke).


Luhmann, Niklas (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt a. M. (Suhrkamp).


Luhmann, Niklas (2000): Die Politik der Gesellschaft. Frankfurt a. M. (Suhrkamp).


Matys, Thomas (2006): Macht, Kontrolle und Entscheidungen in Organisationen. Eine Einführung in organisationale Makro-, Meso- und Mikropolitik. Wiesbaden (VS).


Weber, Max (1922): Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen (Mohr Siebeck), 1972, S. 17–30.