Müll-Streik

In Baden-Württemberg streiken die Müllwerker. Wenn man mal von den wenigen, eher rührenden Streiks wegen anstehender Werksschließungen (wie etwa bei AEG in Nürnberg) absieht, sind wir streikentwöhnt. Fast ist es so, als ob man seinen Kindern von fernen Zeiten erzählen müsste. Es war einmal, da streikten die Arbeitnehmer, und es wurden Gedichte geschrieben: „Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will!“


Die Globalisierung hat das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern verschoben. Macht hat in einer Beziehung immer der Partner, der für den anderen weniger austauschbar ist als der für ihn. Das gilt auch für Tarifpartner.


Der Frühkapitalismus musste sein Gesicht ändern, weil Gewerkschaften durch die Solidarisierung der einzelnen, austauschbaren Arbeiter eine Gegenmacht aufbauen konnten: Die Arbeiterschaft insgesamt war nicht austauschbar. Insgesamt ist dies m.E. der Entwicklung unseres Gesellschaftssystems ganz gut bekommen (Oliver Twist im Kino gesehen). Zu große Gegensätze zwischen Arm und Reich führen auf Dauer zu Konflikten, die nicht produktiv sind. Die Verteilungs-Konflikte, die zu Streiks führten, konnten konstruktiv gelöst werden.


Die Zeiten der ausgehandelten Kompromisse sind nun erst einmal vorbei. Die Produktion kann relativ schnell nach Asien oder an irgendeinen anderen Standort verlegt werden, in dem billiger gearbeitet wird.


Ist das nun das Ende der Geschichte? Zurück in die Zukunft? Revival des Raubtierkapitalismus?


Systemisch gesehen ist damit zu rechnen, dass dem Neoliberalismus der Neomarxismus folgt. Wie das im Einzelnen aussehen mag, ist noch nicht klar, aber Wetten können schon mal angenommen werden.


Dass nun die Müllwerker streiken, ist sicher auch damit zu erklären, dass die Gewerkschaften – nach etlichen Niederlagen – sich und der Welt um ihrer Selbstachtung willen beweisen müssen, dass sie nicht alle Zähne verloren haben. Die Müllentsorgung in Baden-Württemberg lässt sich nun mal nicht nach Fernost exportieren (obwohl die einzelnen Müllwerker ja meist importiert sind).


Dass der Müll nicht beseitigt wird, rührt aber an einen anderen zentralen Punkt. Erstens sind die Arbeitgeber hier keine Unternehmer, denen die Investoren (z.B. „Heuschrecken“) im Nacken sitzen, sondern Politiker, die von uns allen gewählt sind. Und zum zweiten geht es um Infrastrukturen, die überhaupt erst unser Leben, so wie wir es lieb gewonnen haben, ermöglichen. Solche Arbeit, deren Ergebnis stillschweigend vorausgesetzt wird und unsere Normalitätserwartungen stützt, ist natürlich besonders anfällig für Ausfälle. Und hier hat die Politik auch eine besondere, über das Ökonomische hinaus gehende Verantwortung.


Das Nicht-Erfüllen derartiger Infrastrukturfunktionen eröffnet ein gewisses Machtpotential. Ein Hauch von Nostalgie kann da bei den Gewerkschaften schon aufkommen. Sie werden wohl trotzdem erst wieder wichtig werden, wenn es ihnen gelingt, auf einer übergeordneten Ebene erneut eine solidarische Gegenmacht aufzubauen. Das könnte auf EU-Ebene geschehen, aber wahrscheinlich auch dort erst, wenn sich das Lohnniveau zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten aneinander angepasst hat. Solidarität hat ja meist dort seine Grenzen, wo man denkt, alleine besser zu fahren...


Zumindest habe ich keine andere Idee die Gewerkschaften zu retten, obwohl ich schon lange darüber nachdenke. Aber es denken wahrscheinlich ja viel schlauere Leute als ich über diese Frage nach, und von denen hört man auch nichts wirklich Überzeugendes...


Aber was schreibe ich hier eigentlich? Deprimierende Themen. Öd. An der bulgarischen Grenze ist ein Lastwagen mit Frischfleisch aus dem Jahre 1984 beschlagnahmt worden - Tiefkühlkost: Auch eine Form, die Vergangenheit zu ehren.


Draußen regnet es. Im Fernsehen läuft die Trauerfeier für Johannes Rau... Warum blinken eigentlich die Straßenlampen vor dem Berliner Dom, während der Ehrenkompanie laut vernehmbar das Kommando gegeben wird: „Augen rechts!“?