Multi-Kulti

Die Sorge oder gar Angst, Europa könnte islamisiert werden, zeugt von einem (m.E.) mangelnden Verständnis, wie Kulturen sich bilden und erhalten.


Es sind Kommunikationssysteme, die durch ihre Spielregeln definiert werden. Das heißt, sie bilden sich und erhalten ihre Charakteristika dadurch, dass eine größere Zahl von Menschen sich diesen (selbstorganisiert entstandenen, d.h. nicht von irgendwem beschlossenen) Regeln entsprechend verhalten. Die meisten Menschen in einem gegebenen sozialen Kontext tun dies, weil sie wissen, dass dies von ihnen erwartet wird (es sind Erwartungs-Erwartungen, die kulturelle Strukturen erhalten bzw. ein diesen Erwartungen entsprechendes Verhalten). Üblicherweise folgt man sich als Individuum diesen Spielregeln, weil man "dazu" gehören will und an der Kommunikation, d.h. dem sozialen Leben, teilhaben will und seine persönliche Identität über die Komposition seiner individuellen Zugehörigkeiten definiert.


Wer neu dazu kommt (z.B. Migranten) und seine eigenen kulturellen Regeln, an die seine persönliche Identität gebunden ist, aufrechterhalten will, kann diese weiter praktizieren, ohne dass dadurch die Spielregeln der Kultur in Frage gestellt würden, in die er zugewandert ist, solange dadurch nicht ein Konflikt zwischen beiden Spielregeln/Systemen (bzw. der Logik ihres Funktionierens) entsteht. Wenn das der Fall ist, so entstehen eben Parallelstrukturen - was auch nicht prinzipiell zum Problem werden muss. Warum sollen nicht Katholiken und Protestanten anderen Spielregeln in ihrem Gemeindelegen folgen? Problematisch wird diese Differenzierung erst, wenn die einen, um es mal zuzuspitzen, im Elend leben, die anderen in Saus und Braus.


Problematisch wird es immer, wenn die Vertreter des einen kulturellen Systems das andere verändern wollen. Das sind dann Unterwerfungsforderungen, die zwangsläufig Widerstand auslösen.


Der Kontakt zwischen Kulturen ist - wie Bateson es einmal formulierte - keine Katastrophe, sondern eine Chance. Man übernimmt aus der fremden Kultur das, was einem gefällt, den Rest übersieht man ... Die Identität der eigenen Kultur wird dadurch in keiner Weise in Frage gestelllt.


Edward T. Hall (1956) hat Kulturen mit Sprachen verglichen. Eine, wie ich finde, hilfreiche Metapher. Dadurch, dass in meiner Umgebung andere Leute Russisch reden, werde ich ja nicht daran gehindert, weiter Deutsch zu reden. Allerdings: Wenn ich will, dass Deutsch als Sprache (bzw. meine Kultur) erhalten wird, dann muss ich es eben sprechen und es attraktiv machen, Deutsch zu sperchen. Und wenn es mir Spass macht oder Mode ist, englische Begriffe in die deutsche Sprache zu schmuggeln, so wird dadurch die deutsche Grammatik nicht in Frage gestellt.


Eine Sprache kann eine andere nicht überrollen. Sie kann als attraktiver oder schöner oder einfacher als eine andere bewertet werden und deswegen Sprecher finden, die ihren Gebrauch vorziehen. Aber das ist kein passives überflutet oder überrollt werden, sondern eine Wahl.


Also: Wer die europäische Kultur liebt, braucht sich keine Sorge um sie zu machen, nur weil Muslime zuwandern. Er muss lediglich dafür sorgen, dass die europäische Kultur attraktiv bleibt... (bzw. wird, denn das ist sie ja nicht in jeder Hinsicht). Er muss, um die Sprachmetapher weiter zu verwenden, dafür sorgen, dass genügend Leute seine Sprache sprechen. Wenn die niemandem mehr gefällt, dann wird er niemanden finden. Aber um Deutsch habe ich persönlich in der Hinsicht keine Sorge. Ja, ganz Europa ist so attraktiv, dass Millionen von Leuten Europäisch sprechen wollen...