Nützliche Demütigungen

Der französische Präsident möchte den Russen, speziell ihrem Präsidenten, eine Demütigung im Krieg gegen die Ukraine ersparen. Damit folgt er einer Psycho-Logik, wie man sie aus den Ratgeberspalten der Regenbogenpresse kennt („Fragen Sie Frau Irene“ – Irene war bekanntlich der Name der griechischen Friedensgöttin). Und klar, im Alltag sollte man niemanden ohne Not demütigen. Aber stimmt die hinter solch einer Alltagsweisheit liegende Idee der Demütigung überhaupt?


Sie impliziert ja eine geradlinige Kausalität, wie etwa bei US-Schul-Shootings: Täter vs. Opfer. Doch bei der Demütigung ist das mit der Verteilung der Aktivität und Passivität etwas komplizierter. Person A mag die Absicht haben, Person B zu demütigen, aber Person B entscheidet selbst, ob sie sich gedemütigt fühlt! Eine Rolle mag dabei spielen, ob es Dritte als Zeugen dieser Interaktion/Kommunikation gibt. Denn dann geht es meist um Gesichtswahrung diesem Publikum gegenüber, wobei wiederum nicht jedes Auditorium gleich wichtig vom potenziell Gedemütigtem genommen wird. Auf eine Formel gebracht: Demütigung ist immer Selbstdemütigung, Demut als Resultat eines aktiven psychischen Prozesses.


Soviel als Vorbemerkung, zurück zu den Russen und dem in der Diskussion aufgeführten Beispiel des Versailler Vertrags. Es scheint mir verfehlt. Das wird beim Vergleich der Niederlagen Deutschlands im 1. und 2. Weltkrieg deutlich. In beiden Fällen kam es zur Kapitulation des Deutschen Reichs. Mit einer Demütigung war dies m.E. nur im 2. Weltkrieg verbunden. Denn wir, die wir nach dem Krieg aufgewachsen sind, haben als Deutsche – die dank Gnade der späten Geburt – keine Täter sein konnten, eine tiefe Scham und Demut angesichts der Verbrechen, die im deutschen – unserem – Namen, der deutschen Kultur usw. (Holocaust) begangen worden waren, erlebt. In Deutschland hat man diese Demut kollektiv gefühlt und zu einem guten Teil auch zur Grundlage der Politik gemacht. Der Unterschied zwischen den beiden Weltkriegen war, dass es nach dem ersten Weltkrieg keinen Grund zu deutscher Demut zu geben schien und – wahrscheinlich wichtiger – im Versailler Vertrag die wirtschaftlichen Zukunftsmöglichkeiten der Nation radikal beschnitten wurden, während nach dem 2. Weltkrieg mit Hilfe des Marshall-Plans trotz aller Nazi-Verbrechen Deutschland eine Chance zum Wiederaufbau eröffnet wurde. Und die wurde – trotz einiger Revanchisten, die ihren Gütern in Schlesien nachweinten – in aller Demut genutzt. Die Demütigung hat eine Neudefinition der (west-) deutschen Identität ermöglicht.


Das wäre wahrscheinlich auch Russland zu wünschen. Eine Demütigung, die natürlich nur eine Selbstdemütigung sein, d.h. ein Anerkennen und Aufarbeiten der Schrecklichkeit der eigenen Aktivitäten, welche einen Neuanfang ermöglicht. Aber das müssen die Russen natürlich alles selbst entscheiden und tun, und alle Überlegungen, was für Russland gut oder schlecht ist/wäre, ist mehr oder weniger Geschwafel (ob nun Macrons oder meins). Um Putin muss man sich wohl keine Sorgen machen, denn das Publikum, das für ihn relevant ist – die russische Öffentlichkeit –, steuert er selbst, und er kann jeden Ausgang des Krieges als Sieg umdeuten (lassen).


Dass die Demut auch übertrieben werden kann, zeigt sich ebenfalls am deutschen Beispiel, wo seit einiger Zeit nach dem Prinzip gehandelt wird:


Unsere Demut ist unser ganzer Stolz!