Ob du glaubst, dass du es kannst...

Oder ob du glaubst, dass du es nicht kannst, du hast Recht!“, erklärte Henry Ford. Daran muss ich denken, gerade das neue Buch von Reinhard Voss lesend mit dem sinnlichen Titel *„LernLust und EigenSinn“*. Der Beitrag darin von Jim Garrison und Stefan Neubert „Bausteine für eine Theorie des kreativen Zuhörens“ rückt unter anderem den amerikanischen Begriff *beliefs* (Überzeugungen) in den Blickpunkt. Ich meine sogar, dass mit dem aus gleicher "Schule" stammenden Begriff von den *belief systems* (Glaubenssysteme) ein Fass von eminenter praktischer Bedeutung für die Pädagogik aufzumachen ist.


Ich arbeitete zum Beispiel einmal mit einer Gruppe aus dem ganzen Jahrgang fünf, die wir für die Kinder mit besonderen Rechtschreibproblemen eingerichtet hatten. Gleich am Anfang in der zweiten oder dritten Stunde kam ein Mädchen mit einem schönen Gruß von seiner Mutter zu mir. Es solle mich fragen, warum gerade es den Rechtschreibkurs besuchen soll. Schließlich habe in ihrer Familie noch nie jemand richtig Rechtschreiben können. Ich musste herzlich lachen, bat die Mutter zurück zu grüßen und sie zu fragen, ob wir es nicht mal gemeinsam versuchen könnten. Mutti war einverstanden und siehe da: Das Kind machte alsbald deutliche Fortschritte. „Das hätte ich nie für möglich gehalten“, sagte sie beim nächsten Elternsprechtag zu mir. Ein seltener Fall spontaner Änderung einer in einer Familie tief sitzenden inneren Überzeugung. Welche Signale hatte wohl zuvor dieses Kind über die Jahre hinweg schon bekommen, die in ihm selbst das Wachstum des Glaubens an die eigenen Fähigkeiten auf diesem Gebiet blockiert hatten? Vielleicht so oder ähnlich: *„Wir können alle nicht Rechtschreiben und sind trotzdem rechte Menschen geworden.“ „Wer Fehler beim Schreiben macht, ist noch lange kein schlechter Mensch.“ „Rechtschreiben ist nicht so wichtig.“*


Die schlechten deutschen Ergebnisse der PISA-Untersuchungen haben möglicherweise viel mit diesen unsichtbaren inneren Blockaden zu tun haben. (Die wahren Gefängnisse sind in uns). Das Jammertal deutsche Schule im Jammertal Deutschland, eine fatale Parallele. Ein gutes Fünftel aller deutschen Schulabgänger kann nicht richtig Lesen, Schreiben und Rechnen. Und man redet nur über die Makrobedingungen, wie das **künftig** zu verbessern wäre mit Frühförderung, Ganztagesschulen, mehr Lehrern usw., statt auch an die heutigen Schülerinnen und Schüler sowie die aktiven Lehrerinnen und Lehrer zu denken. An diesen heimlichen Lehrplan in den Köpfen denkt offenbar kaum jemand. Jedenfalls habe ich davonnoch nichts gehört oder gelesen. Das massenhafte Vermeiden richtigen Lernens lebt in den Köpfen von Kindern und Jugendlichen, verdichtet sich im Laufe der Jahre zu unbewussten Steuerungshebeln des Handelns. Wer genau hinhört, kann das in vielen Alltagssituationen (auch in der Kommunikation Erwachsener) mitbekommen in Sätzen wie: *„Mathematik ist nicht so mein Ding.“ „Geographie war für mich schon immer ein Grauen.“ „Geschichte interessiert mich nicht.“ „Bücher sind langweilig.“*


Wenn Sie eine Schulklasse mit den folgenden (oder ähnlichen) Aussagen (verbreiteten Glaubenssätzen) konfrontieren und fragen, welche davon die SchülerInnen selbst schon gedacht haben, werden Sie gewiss überrascht sein:


* Das kapier ich nie!

* Andere können es, ich nicht.

* Ich bin blöd.

* Das kann ich nicht.

* Mathematik (Physik) ist nichts für Mädchen.

* Das ist mir zu hoch.

* Wozu soll ich das lernen, ich vergesse es doch gleich wieder?

* Wozu soll ich das lernen, ich brauche es doch nie.


Leider fördern viele Lehrer solch falsches Lernen noch durch ihr eigenes Verhalten. Mit (un-) pädagogischen Leitsätzen wie zum Beispiel: *„Wir haben die falschen Schüler!“* Welche Folgen für das Alltagshandeln mag diese Überzeugung für die Lehrer haben und (nicht zu vergessen) für das Leistungsvermögen ihrer Schüler?


Bei den Recherchen zum Schülermobbing bin ich auf viele Lehreräußerungen gestoßen, die geeignet erscheinen, das Selbstvertrauen ihrer Schüler nachhaltig zu schädigen und ihren Glauben an sich und ihre Fähigkeiten negativ zu prägen. Ein Oberstudienrat und Deutschlehrer amüsierte sich etwa gerne vor seinen Schülern mit einem Reim: *“Mach täglich einen nur zur Sau, dann ist dein Alltag nicht mehr grau.“* Für die Schüler, auf die er sie münzte, war das weniger lustig. Ein Mathematikkollege kommentierte die Leistungen seiner Oberstufenschülerin so: *“Löschen Sie das Schlachtfeld von der Tafel, auf dem Sie gerade gestorben sind.“* Ein anderer: *“Ihr seid der Rotz an meinem Ärmel!“* Und ein Kollege an der Realschule erklärte gleich seiner halben Klasse die Erfolgsaussichten so: *“Hier ist die Hälfte zu viel. Ich werde alle rauskriegen, die hier nicht her gehören.“* Ein schwäbischer Gymnasiallehrer meinte gegenüber Schülern, die er im Gymnasium fehl am Platze sah: *“Du gehörst in die Baumschule.“* Reinhard Kahl hat einmal einen deutschen Kultusminister zitiert, der allerdings ungenannt bleiben wollte: *“Meine Tochter lernt in der Schule hauptsächlich, dass sie dumm ist.“*


Die finnischen Kollegen haben (zum Vergleich) Leitsätze wie: *“Jeder gehört dazu. Wir können es uns nicht leisten, auch nur auf einen zu verzichten. Jeder wird gebraucht.“*


Wie viele gute Vorschläge (in Lehrer- und Klassenzimmern und anderswo) fahren gegen Gummimauern aus Formeln wie: *"Das geht nicht, weil...(tausend Gründe)."*


Wie wäre es, wenn wir an unseren Schulen damit beginnen würden, die Verantwortung für unsere Leitsätze zu übernehmen und daran zu arbeiten, positive Leitsätze für unser Handeln zu entwickeln, damit unsere Kinder lernen, daraus ihren guten Glauben an sich selbst zu konstruieren?


* Das schaff ich schon.

* Nur Geduld, ich kann das lernen

* Probieren geht über studieren.

* Mit Geduld und Spucke fängt man eine Mucke.

* Hab ich Mut, mach ich’s gut.


Garrison und Neubert sprechen von einer notwendigen Vorstrukturierung, die wir brauchen, um die Welt zu interpretieren und „auf vielfältige Weise bilden unsere Überzeugungen den Kern unserer Selbstidentität.“ Wir könnten als Lehrer durch unser Denken und Handeln mehr bewirken als alle Strukturreformen zusammen. Wir können uns dazu entschließen Verantwortung für gute Leitsätze zu übernehmen. Nehmen wir sie öfter „überzeugend“ in den Mund, dann wird daraus ein „Denkmuster“, das unsere Schüler in ihre eigenen Denksysteme übernehmen können, so ihnen das als lohnend und „wahr“ erscheint, also wenn sie genügend Vertrauen in uns entwickeln können und wir dieses Vertrauen immer wieder durch unser Handeln rechtfertigen. Es ist das Größte, was ein Lehrer erreichen kann, wenn seine Schüler bei ihm an ihre guten Fähigkeiten glauben lernen und sich dieser gute Glaube immer wieder im täglichen Umgang miteinander bestätigt.


Ich wünsche Ihnen gute Leitsätze.

Tschüss bis morgen

Horst Kasper