Prozedurale Macht

In den letzten zehn Jahren war in den USA wahrscheinlich nicht der jeweils amtierende Präsident der mächtigste Mann, sondern Mitch McConnell, der bis zum 20. Januar dieses Jahres Mehrheitsführer des Senats war. Seine Macht resultierte daraus, dass er darüber entscheiden konnte, wann und wie im Senat über Gesetze, die im Repräsentantenhaus beschlossen worden waren, oder auch über Nominierungen für irgendwelche Ämter durch den Präsidenten etc. entschieden wurde. Kurz gesagt: Er hatte die Entscheidung über die Verfahrensweisen zur Herbeiführung bindender politischer Entscheidungen.


Er nutzte sie in den Obama-Jahren zu einer systematischen Obstruktionspolitik gegenüber nahezu allen Reformprogrammen Obamas – was ihm u.a. noch durch die naive Hoffnung Obamas auf „bipartisan“ Konsens in vielen Fragen erleichtert wurde, was zu ewigen Verhandlung zwischen den Parteien führte, wobei alle Kompromisse dann letztendlich doch von den Republikanern im Senat abgelehnt wurden. Am deutlichsten wurde die Macht über die Prozeduren bei der Berufung des von Obama nominierten Richter am Supreme Court. McConnell stellte diese Nominierung ein knappes Jahr lang nicht zur Abstimmung. Und nach der Wahl Trumps wurde dann ein von Trump nominierter Kandidat zur Abstimmung und mit der republikanischen Mehrheit gewählt.


Die Methode McConnells – eines skrupellosen Machtpolitikers – wurde jetzt beim zweiten Impeachmentverfahren gegen Trump erneut deutlich, allerdings auch die ziemlich verlogene Doppelmoral, die dahinter steckt.


Das Verfahren gegen Trump wurde vom Repräsentantenhaus beschlossen, als Trump noch im Amt war. Aber McConnell, der Herr über Tagesordnung und Agenda des Senats war, hat dafür gesorgt, dass es nicht mehr zur Amtszeit Trumps im Senat verhandelt werden konnte. Jetzt, nachdem Trump nicht mehr im Amt ist, stellt sich McConnell – ohne dabei rot zu werden – gestern Abend vor die TV-Kameras und erklärt, Trump sei moralisch und faktisch für den Sturm aufs Capitol verantwortlich, daran bestehe kein Zweifel. Aber er bzw. seine republikanischen Kollegen im Senat hätten Trump freisprechen müssen, weil man niemanden in einem Amtsenthebungsverfahren schuldig sprechen könne, der nicht mehr im Amt ist (dies, obwohl in einer Abstimmung vor einigen Tagen, der Senat sich auch unter diesen Bedingungen für zuständig erklärt hat – eine Auffassung, die auch die meisten Verfassungsrechtler vertreten hatten. McConnell entblödet sich also nicht, den Freispruch eines Menschen, den er für schuldig hält, mit einem Status zu begründen, den er selbst herbeigeführt hat.


Dies Argumentation erinnert an den Mann, der seine Eltern ermordet hat, und vor Gericht plädiert, man müsse ihm mildernde Umstände zubilligen, schließlich sei er Vollwaise.