Ryanair

Heute bin ich mit Ryanair geflogen. Das ist ja die im Augenblick größte europäische Fluggesellschaft, und es lohnt sich, einen Blick auf deren Funktionsprinzipien zu werfen. Um eine meiner Schlussfolgerungen vorweg zu nehmen: Mir scheint, man arbeitet mit selektiver Kundenorientierung und setzt auf selektive Ryanairorientierung bei den Kunden. Das dürfte bei den anderen Fluggesellschaften im Prinzip ja nicht anders sein, aber die Radikalität macht wohl den Unterschied.


Die Reise begann in Schönefeld, diesem Dritteweltflughafen, der in keiner Weise heutigen Komfortstandards entspricht, aber für die Fluggesellschaft geringere Kosten verursacht. Die Kunden müssen sich diesen kalkulatorischen Erwägungen eben anpassen. Der Preis ist heiß, weil nur der nackte Flug bezahlt wird, und für die Reservierung eines speziellen Sitzplatzes, eines Koffers usw. extra bezahlt werden muss. Das kann als gute Lösung für beide Seiten angesehen werden, weil die vielen Reisenden mit Handgepäck nicht Kosten für das Gepäck der anderen zahlen müssen. Schließlich ist die Buchung eines Fluges ja nicht der Abschluss einer Versicherung, die nach einem Solidarprinzip operiert.


Wer als erster bzw. als Mitglied einer ersten Gruppe an Bord gehen will, zahlt extra. Ich hatte sowohl den Koffer als auch den Sitz (Gangplatz) gebucht, da ich es hasse, in der Mitte zwischen zwei übergewichtigen und schwitzenden Mitreisenden zu sitzen. Das Preboarding hatte ich mir gespart, da ich einen Platz reserviert hatte.


In der Wartehalle wurde nun eine weitere Ryanair-Regel praktiziert. Alle Leute ordnen sich in eine kurze ("preboardende") und eine unendlich lange, nicht preboardende Reihe. Ich habe das schon einmal beobachtet und bin daher sitzen geblieben. Als das Boarding begann, bin ich zu den 10 Leuten in die Preboardingschlange und wurde nach Kontrolle meines Ausweises durch die Tür auf eine Platz im Freien mit den 10 anderen Leuten gewiesen, die extra bezahlt hatten, um als erste in den Regen zu kommen, wo wir dann vor Kälte zitternd darauf warteten bis die übrigen ca. 200 Leute auf ihren Regenplatz kamen. Als schließlich alle durchgewunken waren, durften wir dann durch den Regen zum Flugzeug gehen. Auch hier spart die Fluggesellschaft, denn es gibt keine überdachten und gewärmten Flugsteige, sondern jeder hat seine Füße zu benutezn und die 100m über den Asphalt zu laufen. Da ich der einzige war, der einen Regenschirm hatte, war ich wohl auch der einzige, der trocken ins Flugzeug kam.


Im Flugzeug, das sehr sauber war, fiel mir als erstes auf, dass es keine Ablage an den Rücklehnen der Vordersitze gab, in denen man seine Zeitung oder seinen Müll hätte verstecken können. Für den Fluggast hieß dies, dass er seine Utensilien während des Fluges in der Hand halten musste oder - das hat keiner getan - auf den Boden werden musste. Allerdings kam die Stewardess dreimal während des Fluges mit einem Müllsack durch, um eventuellen Abfall einzusammeln. Das Weglassen der Ablagen dürfte die Wartezeiten am Boden für die Flugzeuge erheblich verkürzen, weil sie nicht mehr so mühsam zu reinigen sind. Dabei hilft auch, dass es keine Versorgung mit Essen oder Trinken bzw mit Trinkbechern, Servietten etc. (=Müll) gibt, es sei denn der Reisende kauft etwas im Flugzeug oder hat sich seine Wurstbrote mitgebracht.


Dass die Sitze nicht zu verstellen sind, ist zwar für die Reisenden unbequem, schützt das Personal aber vor den sonst regelmäßig zu erwartenden Streitigkeiten, die entstehen, wenn der Vorermann versucht mit HIlfe seiner Rückenlehne die Kniescheibe seines Hintermanns zu zertrümmern.


Der Flug war pünktlich. Fast alle Flüge bei Ryanair sollen pünktlich sein, habe ich mir sagen lassen. Dass auf einzelne Fluggäste gewartet wird, scheint mir undenkbar. Schließlich würde dies das ausgeklügelte Zeitmanagement durcheinander bringen.


Eigentlich hatte ich mich auf einen Streik der Piloten eingestellt bzw. befürchtet - und ein wenig auch gehofft -, dass die Piloten sich wehren gegen das Beschäftigungspinzip von Ryanair. Sie zwingen ihre Piloten Firmen zu gründen, bei denen sie beschäftigt sind, so dass Ryanair nicht mit Piloten Verträge schließt, denen sie Urlaubs-, Kranken- und Urlaubsgeld etc. zahlen müssten, sondern diese Risiken wälzen sie auf die - nebenbei bemerkt: schlechter als anderswo bezahlten - Piloten ab. Dass die Piloten sich in einer Gewerkschft organisieren, will Ryanair auf jeden Fall verhindern. Hier scheint mir das Grundprinzip dessen, was an der Globalisierung schief geht, gut zu beobachten zu sein. Denn der einzelne Pilot ist austauschbar, er kann nicht allein streiken. Aber eine Gewerkschaft kann alle ihre Mitglieder zum Streik aufrufen. Je mehr Leute organisiert sind, umso größer die Gegenmacht, die aufgebaut werden kann. Wenn Piloten aus aller Welt angeheuert werden können - und sich genügend anheuern lassen bzw. auf einen Job scharf sind - ist das Machtverhältnis klar. Ryanair bietet nur ein Musterbeispiel dafür, dass all die mit der Zivilisierung des Kapitalismus (bei uns als "soziale Marktwirtschaft" praktiziert) verbundenen sozialen Errungenschaften mit der Globaliseirung und der Möglichkeit von Unternehmen ihre Mitarbeiter weltweit zu suchen und auszutauschen den Bach runter gegangen sind.


Bleibt noch anzumerken, dass ich den Flug nicht unangenehm fand. Die meisten Passagiere gehörten zur Generation Erasmus, und ihnen war es offenbar egal, ob sie beim Weg über das Flugfeld nass wurden. Der Preis stimmte (auch für mich). Man kann eben nicht alles haben: preiswerte Produkte und soziale Errungenschaften - oder?