Schäubles Fehler?

Wenn es in hierarchischen (oder als hierarisch erlebten) Beziehungen um Sachkonflikte geht, kann man als (formal definierter oder auch nur wahrgenommener) Hierarch einen prinzipiellen Fehler machen - den unser lieber Finanzminister sich in der Beziehung zur aktuellen griechischen Regierung bzw. deren Repräsentanten nicht hat entgehen lassen.

Wenn es in asymmetrischen Beziehungen, in denen solch ein "Hierarch" (ich setze hier mal Anführungsstriche, um damit die o.g. Definition nicht immer wiederholen zu müssen) einer Gruppe von ihm untergeordneten (oder sich so erlebenden) Beziehungspartnern gegenüber steht, zu Sachkonflikten kommt (z.B. darüber, wie die Euro-Krise zu lösen ist), dann besteht immer das Risiko, dass die Sachauseinandersetzung auf der Strecke bleibt, weil der Oben-unten-Konflikt in den Vordergrund rückt.

Die Strategie der griechischen Regierung war deswegen auch darauf gerichtet, ein Bündnis zwischen den sogenannten Schuldenstaaten im Süden herzustellen, indem Deutschland (d.h. die Regierung = Merkel, Schäuble etc.) als Gegner definiert wurde. Durch Hitlerbärtchen, Viertes Reich, SS etc. -Zuschreibungen wurden an die Akteure in Deutschland eine "Einladungen zum Tanz" geschickt, die von Herrn Schäuble dankbar angenommen wurden: Er hat zurück gekeilt.

Dadurch ging zwar die (hier unterstellte) Rechnung der Griechen, dass sich die anderen Südeuropäer mit Griechenland solidarisieren, (noch) nicht auf, aber es kam immerhin zu einem offenen, eskalierenden Konflikt "Griechen vs. Deutsche", der wahrscheinlich innenpolitisch für die aktuelle griechische Regierung nützlich sein dürfte, für die deutsche - wie ich finde - aber nicht (obwohl ich das natürlich falsch einschätzen kann). Das Risiko für die Deutschen ist, dass wirklich andere Nationen beginnen, die deutschen Herrschaftsansprüche in Frage zu stellen.

Wie auch immer: Die inhaltliche Auseinandersetzung, welche sachlichen Möglichkeiten es gibt die Euro- bzw. Griechenlandkrise zu lösen und welche gewählt werden sollte, ist auf der Strecke geblieben. Diskutiert wird statt dessen über Stinkefinger und wer wen wann womit beleidigt hat.

Falls man diese Sach-Diskussion haben wil (was bei Herrn Schäuble wahrscheinlich ja nicht der Fall ist), muss aus systemischer Sicht vom Hierarchen eine andere Taktik gewählt werden. Er darf die Einladung zu einem Oben-unten-Konflikt nicht annehmen. Dann können und werden (meistens wenigstens) sich die Peers der dem Hierarchen untergeordneten Partei miteinander in einen Streit über die Sachfrage begeben. Die Beziehung derer, die an dieser Auseinandersetzung beteiligt sind, ist symmetrisch, daher wird die Beziehungsfrage zweitrangig. Wenn aber der Hierarch sich einmischt, dann werden diese Peers zu Beobachtern eines Oben-unten-Konlflikts, bei dem die Parteigrenzen ganz anders gezogen werden, als wenn es um die Sachfrage geht ("Die da unten gegen die da oben").

Wer also als Hierarch sachliche Auseinandersetzungen fördern und nutzen will (um eventuell zu intelligenteren Entscheidungen zu kommen, als er sie allein treffen würde - was ich Herrn Schäuble wiederum nicht als Absicht oder Ziel unterstellen will), der sollte sich mit seinen inhaltlichen Vorstellungen zurück halten und solange wie möglich außen stehender Beobachter bleiben, um sich eine Meinung zu bilden.

Für die deutsche Regierung wäre es m.E. also sehr viel besser gewesen, wenn sich alle ihre Repräsentanten trotz evtl. Provokationen zurück gehalten hätten. Dann wären die Niederländer, die Finnen usw. (noch) mehr in die Auseinandersetzung mit den Griechen eingetreten, und vielleicht hätten dann auch die Italiener, Spanier und Franzosen plausibel sachliche Alternativen vorgeschlagen, die sie jetzt lieber für sich behalten haben...

Ich vermute aber, dass systemische Taktik und Strategie Herrn Schäuble - so lange, wie er schon als Politiker aktiv ist - vertraut genug sind (auch wenn er nicht bei mir im Seminar war), dass man nur folgern kann, dass es ihm darum ging, die Sachauseinandersetzung über die Politik der Euro-Rettung zu verhindern.

Also doch nicht Schäubles Fehler, sondern Schäubles Taktik - von der allerdings noch nicht zu sagen ist, welche Folgen sie längerfristig haben wird und wie die dann zu bewerten sind.