Soziale Selektionsprozesse am Beispiel der AfD

Wenn man die ja gar nicht so lange Geschichte dieser Partei anschaut - und zwar nicht als betroffener und parteilicher Bundesbürger, sondern aus der Außenperspektive des (mehr oder weniger unbeteiligten) Ethnologen - so sind sehr schön und gewissermaßen im Zeitraffer soziale Selektionsprozesse zu beobachten, insbesondere die Radikalisierung solch eines sozialen Gebildes.


Angefangen hat die Partei ihre Geschichte als Projekt eines Volkswirtschaftsprofessors (Bernd Lucke), der mit der Politik der Euro-Rettung nicht einverstanden war und den Austritt aus der Eurozone propagierte. Er sammelte etlliche, einigermaßen respektable Persönlichkeiten um sich, die einen gemeinsamen Nenner im Widerstand gegen die aktuelle Wirtschafts- und Finanzpolitik fanden. Aber - da Widerstand das Motto war und damit die Aufmerksamkeit der Presse und gekoppelt daran der Öffentlichkeit fand - kamen auch andere Leute in die Partei, die weniger inhaltliche Gründe hatten und weniger respektabel waren. Ihnen war der Beziehungsapekt wichtig: Gegen die aktuelle Regierung, gegen die aktuellen etablierten Parteien (die - das war der inhaltliche Aspekt, der sie verband - ja alle für den Euro waren), gegen Merkel., gegen den Mainstream.


Die Inhalte wurden zunehmend unwichtiger, die Radikalen, denen es um eine konsequente Strategie des Widerstands ging, gewannen die innerparteiliche Auseinandersetzung. Petry und Gauland wurden auf den Schild gehoben, Lucke und Co. verließen die Partei.


Mit der soganannten Flüchtlingskrise wurde die AfD zum Sammelbecken aller, die gegen die etablierten Parteien waren, die sich ja nicht so sehr in ihrer Einstellung zu den Flüchtlingen unterschieden. Jetzt, nach der erfolgreichen Bundestagswahl, stellt sich erneut die Frage nach den inhaltlichen Zielen der Partei. Frau Petry ist offenbar nicht zufrieden, in ihrer Partei nur das Sammelbecken der Gegner des Status quo zu sehen. Doch damit ist sie in ihrer Partei nicht mehrheitsfähig. Jetzt tritt sie mit einigen Mitstreitern, die zu Zeiten von Lucke noch die Radikalen waren, aus der Partei aus, da sie sich von den noch Radikaleren (den mehr oder weniger unverhüllten Nazis, vermute ich) abgrenzen will.


Diese hier nur skizzierten Schritte führen, das ist m.E. vorherzusehen, dazu, dass sich die Mitgliedschaft dieser Partei immer weiter radikalisiert. Die meisten Wählern (60%), die diese Partei gewählt haben, haben sie gewählt, weil sie mit den anderen Parteien nicht zufrieden sind. Ihnen ist vollkommen undurchsichtig und wahrscheinlich auch egal, wer da innerparteilich gerade am Drücker ist. Die Radikalen, die übrig bleiben, die Höckes & Co., werten die Wahlergebnisse als Bestätigung. Sie werden wahrscheinlich noch radikaler werden.


Ich bin gespannt, wann Herr Gauland aus seiner Partei austritt... Allerdings (jetzt gebe ich die Ethnologenposition auf) sind seine Äußerungen, dass es Grund zum Stolz auf die Verbrechen der Wehrmacht gibt, nicht wirklich beruhigend. Es könnte sein, dass er sich weiter radikalisieren lässt, um auch in Zukunft zu seiner Partei gehören zu können.


Die Frage ist, wie die Öffentlichkeit auf solch eine Entwicklung reagiert. Eigentlich bräuchte die AfD als kleiner sektiererischer Haufen Ewiggestriger und Halb- oder Ganz-Nazis von den Medien nicht beachtet zu werden. Die tun das aber doch und erledigen so deren PR und Marketing.


In sozialen Systemen gilt: Was nicht in die Kommunikation kommt, existiert sozial nicht. Das Umgekehrte gilt leider auch, allerdings scheinen unsere politischen Journalisten das nicht zu wissen bzw. sehenden Auges, d.h. als "Kriegsgewinnler", zu agieren...