Spiegelneurone von Katzen

Die Katze meiner Nachbarin ist noch sehr jung (vier Monate) und daher etwas ungestüm. Bei der Verfolgung eines Vogels ist sie auf einen Baum geklettert (sehr sportlich, schnell und unbedacht). Das ist zumindest die These, wie dieses junge Geschöpf auf den Baum kam.


Ich habe das nicht beobachtet. Allerdings habe ich das jämmerliche Miauen gehört, das sich über lange Zeit hinzog. Es klang weit weg, fast wie das Jammern eines kleinen Kindes, deswegen habe ich mich auf die Suche gemacht. Ohne Erfolg. Die Eigentümerin der Katze (oder besser gesagt: die alte Dame, deren Aufgabe es ist, während der Ferien ihrer Tochter - der wirklichen Eigentümerin - auf dieses Tier aufzupassen) hat sie dann gesichtet: auf einem Baum, ca. 10 - 12m hoch, in einer Astgabe sitzend. Unser aller guter Zureden hat die Katze schließlich aktiviert: Sie ist noch eine Astgabel höher gestiegen (einen Höhenmeter)...


Da hat sie dann wieder gejammert. Die Hüterin der Katze: "Ich rufe nicht die Feuerwehr. Das kostet 400 Euro. Die habe ich nicht!"


Also, weiteres katziges Jammern. Die Zuschauer, Nachbarn, Passanten, sind inzwischen wieder alle gegangen. Als alle weg sind, versuche ich noch einmal mein Glück.


Ich rede mit ihr. Gutmütig, wie ich nun mal bin. Sie weiss, dass ich ehrlich bin, denn ich habe ihr schon einmal einen Tritt gegeben, als sie in meine Räume wollte. Das schafft Bindung.


Sie dreht sich um, kommt vorsichtig bis zu der ersten Astgabel, auf der sie vorher schon gesessen hatte.


Ich ermuntere sie, und sie geht auch noch eine Astgabel tiefer. Nur noch 10 Meter. Aber jetzt geht es senkrecht nach unten. Nur der Stamm, und der nächste Fluchtpunkt-Ast ist erst vier Meter tiefer.


Jetzt kommt meine große Stunde: Ich zeige ihr wie man einen Baum runter klettert, indem ich mit meinen Vordertatzen die Bewegungen mache, die man machen muss, wenn man rückwärts eine Baum runter klettert (als Katze mit Krallen oder Mensch mit Steigeisen). Und tatsächlich: Sie dreht sich um und folgt meinem Beispiel. Begleitet von meinem begeisterten Beifall, wie ihn Eltern normalerweise spenden, wenn ihr Kind zum ersten Mal aufs Töpfchen gemacht hat.


Kein Zweifel: Es waren die Spiegelneurone der Katze, die sie in die Lage versetzt haben, meinem Vorbild zu folgen.


Die Katze kommt so bis zum nächsten Ast. Sie ruht sich aus. Ist offenbar todmüde von dem Stress. Ich auch (meine Spiegelneurone).


Ich gehe ins Haus und überlasse sie ihrem Schicksal. Es beginnt zu regnen. Jetzt macht sie sich wieder auf den Weg. Wie bei den ersten Metern geübt, klettert sie jetzt ganz schnell und höchst kompetent den Baumstamm runter und verschwindet im Haus der mit der Whiskas-Kiste klappernden Nachbarin.


Und ich lasse mich in Zukunft nur noch als "Katzenflüsterer" bezeichnen.