Systemische Beratung vs. agile, lösungsorientierte, Desing-Thinking- etc. Methoden

Seit geraumer Zeit wird mir immer wieder berichtet, irgendjemand hätte ihm erklärt systemische Beratung sei out, weil ... (s.o.) viel besser sei und jeder, der sich systemischer Modelle bedient, einfach nicht up-to-date sei.


Eine Kritik, die näherer Betrachtung wert ist.


Wenn man das tut, dann bemerkt man als erstes, dass der Begriff "systemisch" von diesen Kritikern als Bezeichnung für ein Methodenrepertoire verwendet wird. Dass manche Methoden als systemisch charakterisiert werden, ist zwar Tatsache, aber m.E. trotzdem Blödsinn. Methoden sind Methoden und weder systemisch, noch katholisch, grün oder kalt. Die Zuschreibung der Eigenschaft systemisch bezieht sich m.E. (ich schreibe, um das noch einmal und für alle Zeiten klarzustellen, hier immer nur, was meines Erachtens richtig ist) immer auf das den in der Praxis verwendeten Methoden zugrunde liegende Erklärungsmodell für das eigene Verhalten, d.h. für die verwendete Theorie. Und die systemische Beratung verwendet eben die Systemtheorie, d.h. sie konstruiert - für das beobachtbare Verhalten von Beratern, Therapeuten, Kunden und Klienten oder auch Patienten - systemtheoretische Erklärungen.


Wenn man soziale Systeme (wie es die neuere soziologische Systemtheorie tut) als Kommunikationssysteme betrachtet und wenn man weiterhin Beratung als eine Form der Kommunikation versteht, dann kann (und sollte m.E.) auf jede Form der Beratung mit einer systemischen Brille geschaut werden. Auf diese Weise kann dann analysiert werden, weswegen wann wie die eine Methode zum Ziel führt und die andere nicht.


Daher sollte für Leute, die sich als "Systemiker" verstehen und definieren, gelten: Jede Methode, die zum Ziel führt, ist systemisch!


Das heißt, dieser Ansatz ist womöglich der pragmatisch radikalste, der auf dem Markt ist, denn er erlaubt die Integration aller funktionierenden Methoden. Was er aber über die Nutzung dessen, was sich bewährt, hinaus ermöglicht, ist die Entwicklung vollkommen neuer, bislang nie probierter und womöglich auch noch nie gedachter Methoden. Denn die Nutzung der Systemtheorie mit ihren vom Alltagsdenken abweichenden Erklärungsmustern, fördert die Bildung innovativer Ideen, weil sie alte Probleme in neue Kontexte stellt.


Zwischen den Rezepten der mehr oder weniger willkürlich beispielhaft im Titel herausgepickten Methoden und dem systemischen Ansatz besteht ein logischer Unterschied: der zwischen Klasse und Element. Lösungsorientierte Methoden sind z.B. ein Element der Klasse systemisch gut begründbarer Methoden, aber diese Klasse umfasst noch andere Elemente ...  Die Begründung einer Methode bzw. die Analyse ihrer Funktionsweise liegt auf einer anderen logischen Ebene als die Beschreibung dessen, was zu tun ist.


Die Systemtheorie ist ein rein formaler Ansatz, durch den erklärt werden kann, wie sich Formen durch Innen-außen-Unterscheidungen bilden, wie sich die so gebildeten Einheiten in Beziehung setzen (lassen) und zu Strukturen formen (lassen), welchen Gesetzmäßigkeiten Transformationen folgen usw. Sie liefert eine formalen Rahmen, ist daher inhaltsleer und in dieser Hinsicht mit der Mathematik vergleichbar. Die Grundrechenarten lassen sich auf Äpfel, Birnen, Autos, das Brutalsozialprodukt, geschossene Tore usw. anwenden. Analog lässt sich die Systemtheorie auf soziale, psychische und biologische Systeme, ihre Formbildungen und ihre Transformationen anwenden. Die Zahl der praktischen Methoden, die aus ihr abgeleitet werden können, ist nach oben offen...


Der epistemologische  Irrtum, welcher z.B. der Unterscheidung bzw. Bewertung "systemische Beratung" vs. "lösungsorientierte Beratung" zugrunde liegt, ist analog zu: Die Grundrechenarten sind nicht mehr up-to-date, angesagt ist jetzt die Multiplikation! Oder besser noch: Die Grundrechenarten sind out, in ist heutzutage 6 x 9!