Verkehrsmeldungen

Langer Tag heute. 300 km ICE, Taxi --- viele Menschen, vieles Reden, Small talk, sehr konventionell, sehr anstrengend --- Taxi, 300 km ICE.


Bahnfahren ist ja nicht wirklich entspannend. Ob man will oder nicht, man kann und muss seine Mitreisenden studieren: Älterer Herr, ca. 75 Jahre alt, packt sich ein Butterbrot aus. Das Butterbrotpapier gibt er seiner (beinahe hätte ich geschrieben: Mutter) Frau, die neben ihm sitzt. Sie nimmt das Papier, streicht es glatt, faltet es zusammen und steckt es in ihre Handtasche.


Erst dachte ich: die arme Frau! Dann war ich nicht mehr sicher: der arme Mann?


Der Kellner, der gerade meinen Fahrschein kontrolliert hatte (neueste Technologie, um mein Online-Ticket mit den Zentraldaten abzugleichen – ein Lesegerät, das die schwarzen Punkte auf dem Ausdruck in der Ecke rechts oben anstrahlt, aber offenbar noch genauso viel Eingabe per Hand erfordert wie die alten Geräte), bringt mir einen Kaffee, ist sehr freundlich, bedankt sich nett für das Trinkgeld. Kein Beamter mehr, die dürfen kein Trinkgeld nehmen.


An der nächsten Station steigt ein Fahrgast zu, der offensichtlich eine Fahrkarte hat, bei der irgendwelche Gültigkeitsfristen abgelaufen sind. Der Kontrolleur, der gerade als Kellner gearbeitet hatte, zeigt nun sein wahres Gesicht. Streng und vollkommen unnachgiebig und keinerlei mir plausibel scheinenden Argumenten zugänglich, klärt er den armen Mann über seine Pflichtverletzungen auf und über den zu zahlenden Nachschlag. Wie dieser Kellner wohl auf das Angebot eines Trinkgeldes reagiert hätte? Doch dieser gegenüber der Bahnreform ketzerische Gedanke ist so schnell verflogen wie er gekommen war. Ich spüre stattdessen, wie mich ein kleinbürgerlicher Schauer der Erleichterung, dass bei mir und meinem Fahrschein ja alles in Ordnung ist, durchfährt. Meine Papiere sind okay. Ich werde nicht auf dem nächsten Bahnhof rausgesetzt, nach Anatolien ausgeflogen (ist wirklich etwas übertrieben, aber so fühlte sich das an). Ich hatte ein Recht hier zu sein in Mehdornland. Oh Schreck.


Im Taxi: Ich kenne die Strecke vom Bahnhof zu meinem Bestimmungsort ganz gut, bin das schon tausend Mal gefahren. Der Fahrer wählt einen Weg, den ich nie nehme, weil ich weiß (!?), dass er länger ist. Ich spüre den starken Drang, ihm zu sagen, er würde jetzt einen Umweg fahren und er solle den anderen Weg nehmen. Da fällt mir ein, dass mich vor einiger Zeit ein Taxifahrer auf dem Weg zum selben Ziel gefragt hatte, welchen Weg er nehmen solle. Ich antwortete ihm, er solle selbstverständlich den von mir favorisierten nehmen, weil es der kürzere sei. Er antwortete: Die sind beide gleich lang. Da mir dies in Erinnerung kommt, unterdrücke ich meine besserwisserischen Impulse und schaue die neue – zugegeben schönere – Strecke an. Als wir am Ziel sind, kann ich mir aber beim Bezahlen nicht verkneifen zu sagen: Das war ein Umweg von 3 Euro. Der Fahrer ist empört, will mit mir gemeinsam die Zentrale anrufen. Ich sage: Ist ja nicht wirklich schlimm, ich wollte es Ihnen nur sagen. Er ist nicht zufrieden, als ich aussteige... Ich eigentlich auch nicht.


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Rückfahrt Taxi zum Bahnhof: Der Fahrer nimmt meine Strecke: 3 Euro billiger. Der Tag ist gerettet... (?) Niemand fällt mir auf im Zug... Keine Chance, erneut meine Gewissheiten gegen größeren Widerstand zu bestätigen. Schade eigentlich. Aber ich kann ja noch meinen Beitrag zur Kehrwoche schreiben...


FBS