Wende 2.0 (???)

Mit o.g. Slogan ist die AfD in Sachsen in den Wahlkampf gezogen und ziemlich erfolgreich gewesen. Mir scheint, dieser Slogan kann ganz gut den Erfolg der AfD in den sogenannten Neuen Bundesländern erklären. Aber bevor ich dazu ein paar Thesen darlegen will, scheint es mir wichtig darauf hinzuweisen, dass nicht „der Osten“ oder „die Ostdeutschen“ diese Partei gewählt haben, sondern nur eine Minderheit. Denn sowohl in Brandenburg als auch in Sachsen haben mehr als 70% der Wähler andere Parteien gewählt…


Wie läßt sich diese, für Leute aus dem Westen kaum verstehbare (viel zu) große Vorliebe für eine Partei, die kein bzw. nur ein widersprüchliches, rückwärtsgewandtes – um nicht zu sagen: mittelalterliches – Programm hat, erkären?


Mir scheint der Verweis auf die Wende 1989, der durch den Slogan „Wende 2.0“ gegeben wird, bedeutungsvoll ist. Denn er dürfte eine Kontinuität der Wirklichkeitskonstruktion eines Teils der Ost-Bevölkerung deutlich machen, die im Osten schon zu Zeiten der DDR bestand und nun immer noch existiert. Man ist 1989 auf die Straße gegangen, um gegen „das System“ zu protestieren. Und es wurde mit dem Slogan „Wir sind das Volk!“ eine Unterscheidung zwischen „dem Volk“ und den Regierenden (der „herrschenden Klasse“, um es in der ideologisch passenden Terminologie auszudrücken) eingeführt und beschworen. Man war sich einig darüber, wogegen man war… Und als Alternative stand damals „natürlich“ die BRD mit ihrem ganz anderen gesellschaftlichen Modell (das im Westen niemand „System“ genannt hätte) zur Verfügung.


Jetzt wird eine Partei gewählt, deren Attraktivität in erster LInie darin zu bestehen scheint, dass sie sich als „nicht zum System gehörig“ definiert. Wenn man diese Unterscheidung plausibel und akzeptabel vermarktet, dann braucht man nicht mehr durch inhaltliche Programme zu überzeugen. Es geht nur noch daraum deutlich zu machen, wogegen man ist. Und da gibt es ohne jeden Zweifel vieles, womit man – nicht nur im Osten – nicht einverstanden sein muss oder sein sollte…


Das Problem ist allerdings heute, dass es aktuell keine wirkliche Alternative auf der Ebene des „Systems“ in Deutschland gibt. Es steht kein anders System zur Verfügung. (Man könnte höchstens versuchen, Sachsen an Donald Trump zu verkaufen – wo sich Grönland so spröde und ablehnend zeigt). Es bleibt allein die Möglichkeit, das existierende System umzubauen, zu reformieren, zu verändern usw. – und das wäre sicher in vielerlei Hinsicht für ganz Deutschland notwendig, um die Unterschiede zwischen Arm und Reich (um es mal auf diese sicher sehr verkürzende Formel zu bringen), die durch die allzulange blödsinnige und blinde Akzeptanz des neoliberalen Modells (Thatcher/Reagan) auch von deutschen Politikern (z.B. Gerhard Schröder) forciert wurden, nicht noch weiter wachsen zu lassen und wieder in eine tragbare und damit zukunftsfähige Balance zu bringen.


Dass der Slogan „Wir sind das Volk“, den ich 1989 – wie viele Leute – sehr sympathisch fand, eigentlich eine Unverschämtheit und zutiefst undemokratisch war, ist mir erst durch nähere Beschäftigung mit dem Populismus deutlich geworden (aber dazu ein andermal mehr)…