Wissenschaft vs. Ideologie

In der Diskussion über die Corona-Maßnahmen wird immer wieder die Meinungsfreiheit, der nötige Respekt Andersdenkenden gegenüber usw. gefordert. Doch diese Forderung beruht m.E. auf einem Kategorienirrtum, denn es geht nicht um den Konflikt der Meinungen, über die man sich zu Recht streiten kann und soll.


Es geht im Moment um einen ganz anderen Konflikt: den Konflikt zwischen Wissenschaft und Ideologie (oder meinetwegen auch: Religion). Es ist der alte Konflikt, der mit der Aufklärung seinen Anfang nahm.


Aus einer konstruktivistischen Sicht verbindet Ideologien und Wissenschaften, dass beides Wirklichkeitskonstruktionen sind, d.h. sie könnten im Prinzip immer auch anders sein (sie müssen nicht einmal zu den erlebten und wahrgenommenen Phänomenen passen). Aber – und das ist m.E. der relevante Unterschied: In den Wissenschaften besteht ein Konsens über die Methoden der Konstruktion von Wahrheiten. Sie bilden die Konstante, während die so konstruierten Wahrheiten sich ändern können. Hinzu kommt, dass die Argumentation in den Wissenschaften den Regeln logischen Schließens und Folgerns gerecht werden muss. Auf diese Weise können Hypothesen formuliert und falsifiziert werden. Dies sind die Spielregeln, innerhalb derer gestritten wird und gestritten werden muss. Wer diese Regeln nicht akzeptiert, verlässt dieses Spielfeld. Dies akzeptiert kann man als Wissenschaftler höchst unterschiedliche Phänomene in den Blick nehmen und für relevant halten, sich über die zu erhebenden Daten auseinandersetzen, über die Erklärung und Bewertung der beobachteten Phänomene usw. Daher ist der wissenschaftliche Diskurs sehr lebendig, und daher haben wissenschaftliche Wahrheiten meist ein Verfallsdatum (was Nicht-Wissenschaftler oft an den Wissenschaften zweifeln lässt).


Ganz anders – ja im Prinzip umgekehrt – ist die Lage bei Ideologien: Hier werden die konstruierten Wahrheiten konstant gehalten, und, um dies tun zu können, werden die Methoden der Wirklichkeitskonstruktion bei Bedarf beliebig geändert. Auch die Argumentation muss nicht den Regeln der Logik folgen. Dies ist dieselbe Methode der Wirklichkeitskonstruktion wie die von Wahnsystemen. Auch da werden Wahrheiten konstruiert, die nicht falsifiziert werden können. Und wer argumentativ widerspricht, wird als Feind betrachtet und seine Motive werden – jeweils zu dieser Ideologie – als Hass oder Ähnliches auf wen auch immer interpretiert. Dazu passt dann auch – als vermutliche Verteidigung gegen die „Feinde“ – die Verunglimpfung von Wissenschaftlern wie dies gerade die Bild-Zeitung gemacht hat.


Um das noch einmal zu betonen: Es geht nicht um Meinungen...


Die Vorhersage einer Flutkatastrophe im Ahrtal war keine Meinung (sie ist leider von den Verantwortlichen so behandelt worden)!


Wissenschaftliche Wahrheiten (auch wenn sie manchmal eine Verfallszeit wie Südfrüchte haben mögen), verdienen eine andere Behandlung und Auseinandersetzung als Glaubenssätze. Und ihre Politisierung, wie gerade gemacht oder versucht wird, ist fatal für jede Gesellschaft. Vor allem verhindert sie, eine rationale (=verhältnismäßige) politische Reaktion auf die thematisierten Sachverhalte...