Worte als Waffen

Mich hat eine e-mail erreicht, die von einer Frau, deren Namen ich hier - ich will ja niemanden vorführen - verschweige, an den "Verantwortlichen" des Carl-Auer-Verlags gerichtet war. Sie beklagt sich darin, dass der Verlag ein Buch mit dem Titel "Rechte Wörter" ankündigt (von Andreas v. Bernstorff). Nach Ansicht der Briefschreiberin sei dies "populistischer Unsinn", denn es würde keine "rechte Wörter, linke Wörter, gelbe Wörter, rosa Wörter und verdoofte Wörter" (oder so ähnlich) existieren. Und dann führt sie die Tatsache, dass man Wörter nicht einfach als solche betrachte, als Beispiel von ideologischer Einseitigkeit aus; eine Argumentation und ein Sprachgebrauch, die mir persönlich - auch wenn sie das Gegenteil beteuert - direkt aus dem extrem rechten Jargon entlehnt zu sein scheinen. Aber mich hat gar nicht die politische Position dieser Kollegin erschüttert - ich bin mir darüber bewußt, dass es ein rechtsextremes Wählerpotential von ca. 25% der Bevölkerung in Deutschland gibt - sondern dass eine Frau, die offenbar professionell als Therapeutin mit Menschen arbeitet (Selbstbeschreibung: "Heilpraktikerin · Traumatherapie · Aufstellungen · Systemische Lösungen") sich nicht der Macht der Sprache bewusst ist (dass dies nicht generell für "Aufsteller" gilt, kann ich bezeugen). Hat sie wirklich nie etwas von der suggestiven Wirkung von Begriffen gehört, von Hypnotherapie, Werbetextern, von performativen Sprechakten usw.? Worte können durchaus rosa, oder schwarz, oder grün, vor allem aber ziemlich doof "sein"...


Für alle, die tatsächlich noch Zweifel daran haben, dass man für den Gebrauch mancher Worte einen Waffenschein fordern sollte, hänge ich hier einen Ausschnitt aus meiner "Anleitung zum Populismus" an:


»Worte werden unterschätzt. Die meisten Leute denken, sie würden irgendwelche Dinge oder Sachverhalte bezeichnen, so wie Etiketten auf Flaschen geklebt werden. Das tun sie zum Teil auch tatsächlich oft, aber das ist eher eine Nebenwirkung, die mit dem Gebrauch von Worten verbunden sein kann (noch nicht mal muss). In Wirklichkeit erzielt man mit ihnen magische Effekte. Sprechen hat Effekte, neben denen die Tricks von Zauberkünstlern verblassen, denn sie spielt nicht nur mit Illusionen und Täuschungen, sondern sie schafft (anders als Bühnenzauberer) tatsächlich soziale Realitäten.  Wenn vor dem Standesamt zwei Personen auf die Frage, ob sie sich gegenseitig zu Mann und/oder Frau nehmen wollen, mit „ja“ antworten, so sind damit ihr Status und ihre Identität verändert, was weitreichende Konsequenzen hat (von den Erwartungen der beiden an sich selbst und aneinander, über die Erwartungen der Menschen in ihrer Umgebung an sie beide, bis hin zu den verminderten Erwartungen des Finanzamtes an ihre Steuerzahlungen…).


Sprechen ist eine Form des Handelns. Worte können trösten und versöhnen, sie können aber auch verletzen oder kränken, Liebe und Hass erzeugen und ausdrücken. Man muss nicht seine Zähne benutzen, um bissig zu sein, und nicht seine Hände, um zu streicheln.


In der öffentlichen Kommunikation sind es Worte, die über Sieg oder Niederlage einer Partei oder eines Kandidaten entscheiden. Es werden mit lauter Stimme Reden auf Marktplätzen und in Versammlungen gehalten, in Talkshows im Fernsehen wird mit Worten gefochten, und in den Sozialen Medien verbreiten sich Stürme von Worten, die ziemlich schlecht riechen würden, wenn die Möglichkeiten des Internets sinnliche Wahrnehmungen zu vermitteln nicht so jämmerlich wären.


Da Sie an die Spitze der politischen Hierarchie wollen, müssen Sie Sprache strategisch verwenden. Dazu sollten Sie einige Merkmale sprachlicher Kommunikation kennen, die Ihnen die handwerklichen Voraussetzungen dafür liefern.


Als erstes müssen Sie sich bewusst machen, dass Sprache immer – selbst in der Mathematik und Logik – aus dem Gebrauch von Metaphern besteht. Sie transportieren Bilder, die bei Ihren Zuhörern Assoziationen wecken, das heißt Vorstellungen auslösen sowie Gefühle und Denkprozesse in Gang setzen. Diese Vorstellungen können Ihren Zielen nützlich oder hinderlich sein. Jedes Wort hat eine suggestive Wirkung, und diese Suggestionen können plump und offensichtlich sein, oder subtil, elegant und indirekt. Wenn Sie direkt, offen und unverhüllt sagen, was Sie wirklich meinen, so laden Sie – ob Sie das wollen oder nicht – Ihre Zuhörer dazu ein Ihnen zuzustimmen oder Ihnen zu widersprechen. Wo laut „ja“ gesagt wird, kann dann auch leise „nein“ gesagt oder gedacht werden.  Ganz anders ist die Situation, wenn Ihre Botschaften implizit sind und durch die sprachlichen Bilder, die sie verwenden, als Schmuggelgut transportiert werden. Diese indirekten Suggestionen treten nicht unmittelbar ins Bewusstsein Ihrer Zuhörer, sondern entfalten – wie erfahrene Hypnotherapeuten Ihnen bestätigen können – unbewusst ihre nachhaltige Wirkung. Auf diese Weise können Sie elegant eventuelle Untiefen und Klippen umschiffen und einen Schiffbruch vermeiden. Das kritische Denken, der Steuermann, schläft und es hört keinen Weckruf. Keinem Ihrer Adressaten wird bewusst, mit welchen stillschweigenden Annahmen über die Welt Sie unter der Hand seine Weltanschauung, das Zeichnen seiner inneren Landkarte, lenken.


Sie müssen, das erübrigt sich fast zu erwähnen, Ihre Metaphorik so wählen, dass sie die in den von Ihnen erzählten Geschichten gerecht werden und das von Ihnen beschworenen Freund-Feind-Weltbild unterstreichen. Dazu sollten Sie nicht nur den Fokus der Aufmerksamkeit auf die Ereignisse und Geschehnisse richten, die Ihre Behauptungen belegen, sondern darüber hinaus Erklärungen und Bewertungen suggerieren, die Emotionen wecken und entschlossenes Handeln alternativlos nahelegen.


Am Beispiel der sogenannten „Flüchtlingskrise“ im Jahre 2015 (auch eine Metapher: Krise wird in der Medizin die Zeit bzw. der körperliche Zustand eines Kranken genannt, in dem sich entscheidet, ob die weitere Entwicklung in Richtung Tod oder Leben ihren Lauf nimmt) und der in den Jahren danach folgenden öffentlichen Diskussion lässt sich dies gut illustrieren.


Als die Grenzen nach Deutschland für die durch Europa irrenden Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten Syriens geöffnet wurden, wurde dies – ziemlich gekonnt – als „Einladung“ an diese Menschen charakterisiert. Einladungen werden normalerweise ausgesprochen, wenn man bereit ist, großzügig zu bewirten und man sich über netten Besuch freut („Willkommenskultur“). Der Grund der Aufnahme dieser Menschen ist dann nicht eine Notlage bei ihnen zuhause, sondern die Motive für ihr Kommen liegen bei den Einladenden. Es werden Fremde, Leute, die anders aussehen und anders denken und fühlen, ohne uns zu fragen zu uns nach Hause eingeladen, und bei Fremden weiß man halt nicht, was sie tun, wenn sie erst einmal da sind. Und man weiß auch nicht, ob sie irgendwann wieder das Haus verlassen.


Die implizite Verantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen verschiebt sich vom Aufnehmenden, der einlädt, zu dem, der kommt, wenn in der Logik von Vergnügungsreisen die Metapher vom „Asyltourismus“ eingeführt wird. Sie entlastet emotional von der Verantwortung für notleidende Mitmenschen und legitimiert, dass man diese Touristen nicht ins Land lassen will.


Bedrohlicher wirkt und mit anderen Gefühlen ist es verbunden, wenn von der „Flüchtlingsflut“ gesprochen wird. Erst waren es „Flüchtlingswellen“, dann wurden sie zu „Flüchtlingsströmen“, die schließlich zur „Flüchtlingsflut“ wurde, welche die Ausmaße eines „Flüchtlingstsunamis“ annahm. Fluten stellen wie andere Naturkatastrophen den Einbruch einer unkontrollierbaren Macht in den ansonsten berechenbaren Alltag ein. Hinzu kommt, dass mit der Wassermetaphorik auch noch eine Dynamik suggeriert wird, ein Anschwellen der Fluten. Dies löst, wie jeder drohende Kontrollverlust, Angst aus („Das Wasser ist so stark, dass selbst der stärkste Mann es nicht halten kann“). Fluten sie sind stark, aktiv und böse, und es ist schwer sich gegen die mit ihnen verbundenen Gefahren zu wehren. Man muss – das ist die implizite Logik, aus der sich Handlungskonsequenzen ableiten – aktiv werden und „Dämme bauen“ (stark und passiv, aber gut), um der Macht der Fluten etwas entgegensetzen zu können. Diese Dämme darf man nicht brechen lassen, denn sonst kommt es zur „Überflutung“ des ganzen Landes und der „Untergang“ droht allem, was uns lieb und teuer ist. Ab nun bestimmt die Abgrenzungsmetaphorik die politische Diskussion, und keiner fragt mehr danach, ob es wirklich zu den beobachtbaren Phänomenen passt und ob die Wanderung von Millionen Menschen einer ähnlichen Kausalität folgt wie die Energieübertragung unter Wassermolekülen.


Stillschweigend sind die einzelnen Personen, die den Weg nach Europa angetreten haben, entindividualisiert und entpersonalisiert, zu Tropfen im Meer, die nicht voneinander unterschieden werden können, nicht zu zählen sind und nicht zählen. Daher braucht auch niemand seine Empathie und sein Mitgefühl an diese Tropfen zu verschwenden…


Beispielhaft und vorbildlich ist diese Flut-Metaphorik, weil sie die Botschaft, die Sie vermitteln wollen, indirekt transportiert. Die Flüchtlinge – jeder Einzelne und alle zusammen – sind stillschweigend als von außen kommende Macht identifiziert, und diejenigen, die im Inneren des Landes bereit sind, etwas für diese Menschen zu tun, sind als interne Feinde bloß gestellt, die es zu bekämpfen gilt. Vaterlandsverräter, Volksverräter.


Perfekt ist es, wenn Sie für Ihr Anliegen Metaphern finden, mit denen die Vorstellung von Bewegung, von einer bedrohlichen Änderung des Status quo verbunden iste. Das kann an den Beispielen „Flut oder „Strom“ ebenfalls ganz gut illustriert werden:  Ein „Strom“ kann anschwellen oder austrocknen, vom kleinen Bächlein zum mitreißenden Wildwasser werden, und Fluten können so sehr steigen, dass auch kein Damm sie mehr abwehren kann.


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