Wulff

Der Prozess gegen Christian Wulff wird jetzt, nach dessen Freispruch, wieder heftig diskutiert. Das Spektrum der Meinungen reicht von "wildgewordene Staatsanwaltschaft" bis "Beweis für den Rechtsstaat".


Bei aller Ambivalenz neige ich zur zweiten Version, auch wenn mir scheint, dass die Staatsanwaltschaft sich möglicherweise auf einen Machtkampf eingelassen hat, der nicht nötig gewesen wäre.


Die Tatsache, dass gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt, wenn es einen Anfangsverdacht gibt, ein Strafverfahren eröffnet werden kann, ist m.E. ein gutes Zeichen. Niemand steht über dem Gesetz. Das beruhigt mich. Obwohl ich in der Hinsicht eh nicht befürchtet hatte, dass es gerade Politiker sind, die sich irgendwelcher Sonderrechte erfreuen, sondern eher extrem reiche Menschen. Aber auch die stehen ja nicht über dem Gesetz, sondern können sich nur extrem teure und clevere Anwälte kaufen.


Dass dieses Exempel an Christian Wulff statuiert wurde, ist allerdings auch nicht zufällig. Denn er hat sich zwar kein goldenes Klo angeschafft, aber mit Leuten eingelassen, die ebenfalls Zweifel an seinem guten Geschmack aufkommen lassen. Das gilt auch für seinen Flirt mit der Bild-Zeitung, der ihn letztlich hat scheitern lassen ("wie im Paternoster fährt man mit ihr hinauf, aber auch wieder runter").


Dass er jetzt frei gesprochen wurde, wird die Geschichte nicht zurück drehen, aber formal ist er nun rehabilitiert und seine "Ehre wieder hergestellt". Kein Gauner, nur naiv und wahrscheinlich etwas zu ehrgeizig.


Auf jeden Fall ist es eine gute Nebenwirkung, dass die allgemeine Sensibilisierung für die Gefahren von Korruption oder auch nur der harmlos erscheinenden Vorteilsannahme für Amtsträger aller Art gestiegen sein dürfte. Daher ist zu hoffen, dass die Bundesrepublik bzw. ihr politisches System und ihre Verwaltung nach dem Prozess etwas (bzw. noch) zivilisierter funktioniert als vor dem Prozess.


Zur Journalistenschelte sehe ich keinen Anlass. Hier eine Art freiwilliger Selbstkontrolle zu fordern, wäre albern. Wer Sensationen verkauft (und wer will die nicht lesen, wenn er eine Zeitung kauft), kann nicht auch noch die Verantwortung für diejenigen übernehmen, über die er schreibt - zumindest nicht, wenn es sich um öffentliche Figuren handelt (bei Privatpersonen sehe ich das etwas anders - aber die sind auch durch das Gesetz vor übler Nachrede etc. geschützt). Wer nicht will, dass öffentlich die umgefallenen Kegel gezählt werden, sollte nicht öffentlich kegeln...