Zeitfenster

Nun öffnet sich für mich das Zeitfenster für eine Woche systemischen Kehrens. Was heißt hier, „es“ öffnet sich? Klaus Müller (Hallo, Herr Müller!) ist der Herr der Zeitfenster. Er ist der Herr der Schlüssel, neudeutsch Keys (wie umständlich klingt doch die altdeutsche *Zugangsberechtigung*). Herr Müller ist der Kronos (von – bis) des Carl-Auer-Blogs. Fritz B. Simon (Hallo, Herr Simon!) als großer Inspirator steht für dessen Kairos, der sogar vom 13. bis 19. Juni selbst eingestiegen ist, um überaus einfallsreich den gewöhnlichen Bloggern zum Vorbild zu werden, also schlicht den systemischen Kehrbesen zu schwingen. Er hat mit seiner guten Idee im Haus des Systemischen eine neue autopoietische Ebene geschaffen, hat den Dom des Lehr- und Denk-Gebäudes um eine geheimnisvoll bunte Beleuchtung bereichert und nicht nur einfach den Kehrbesen bereit gestellt! Nun komme ich mit meinem schlichten Lämpchen und sorge (hoffentlich) auch für etwas systemische Unterhaltung (oder Nachdenken, je nachdem) bei meinen Kehrversuchen, nutze das Zeitfenster, ehe ich wieder in der Reihe der Kommentatoren Platz nehme. Was auch schon eine besondere Möglichkeit bedeutet unter all den möglichen Lesern in den Weiten des Web, deren Existenz man als Autor ja nur erahnen kann, auch wenn sich neulich bei Herrn Schlötter nur 11 konkrete Leser (aber immerhin!) als solche geoutet haben!


A propos Zeitfenster! Soeben hat es sich für heute für die Rückkehr der US-Raumfähre Discovery geschlossen. Vorbei für heute, Montag, den 8. August 2005, die Gelegenheit, die Erdumlaufbahn zu verlassen. Morgen wird es insgesamt sechsmal ein neues Zeitfenster für die Landung geben. Ich denke, der Begriff Zeitfenster hat in der Astronomie seinen Ursprung und für das Abenteuer Raumfahrt existenzielle Bedeutung. Diese exakten Zeitfenster öffnen und schließen sich laut mathematisch exakter Berechnung von Umlaufbahnen „wirklich“. Bis morgen geht das (weltweite) Hoffen und Bangen um eine glückliche Rückkehr der siebenköpfigen Crew zur Erde also erst einmal weiter. Globales Interesse, globale Anteilnahme an diesem stets mit kalkuliertem Risiko betriebenen Spiel um Leben und Tod mit der bemannten Raumfahrt. Erst gestern war es ein anderes technisches Abenteuer mit glücklichem Ausgang, aus dem sieben russische Marinesoldaten befreit werden konnten, die 76 Stunden lang in ihrem kleinen U-Boot vor der Halbinsel Kamtschatka auf Rettung warten mussten. Auch dort gab es ein überlebenswichtiges Zeitfenster. Aber niemand konnte wohl so ganz genau sagen, wie lange die Luft zum atmen reichen würde. Zeifenster mit einer Unbekannten gewissermaßen.


####Metaphorische Zeitfenster####

In der von der Hirnforschung inspirierten Pädagogik ist auch von Zeitfenstern die Rede. Zeitfenster für die Gehirnentwicklung. Bezogen auf das Erlernen von Fremdsprachen beispielsweise. Offenbar ist es günstig, wenn ein Kind früh eine erste Fremdsprache erlernt und zwar zu einem Zeitpunkt, da noch keine beim Spracherwerb des Kleinkindes aktiven Neuronenverbindungen abgebaut werden, die ihren Zweck erfüllt haben. Das gilt zum Beispiel für die autopoietische Adaption des originalen Sprachklanges. Sobald das Gehirn des Kindes den Sprachklang der natürlichen Umgebung vollständig (??) „gelernt“ hat, braucht es diese natürliche Fähigkeit nicht mehr. Die Folge: Schwabenfranzösisch, Bayernenglisch, Alemannentürkisch als Ergebnis des späteren Versuchs eine Fremdsprache perfekt zu lernen. Die Fähigkeit zum akzentfreien Erlernen einer neuen Sprache ist von da an eingeschränkt. Aber offensichtlich nicht bei allen Menschen, zumindest nicht völlig. Schließlich können auch Dialekt sprechende Menschen sich noch später den perfekten Klang der Hochsprache (mit viel Mühe im Gegensatz zum Kleinkind) aneignen. Man denke an Nachrichtensprecher, Schauspieler oder an Otto Schily, dem niemand mehr den Urbayern anhört. Nebeneffekt: Ich mache mir beim Radiohören und Fernsehen gerne einen Spaß daraus möglichst genau die Heimatgegend von wildfremden deutschsprachigen Menschen zu bestimmen. Das schult meine Wahrnehmung, bewahrt mich aber nicht generell vor Sinnestäuschungen.


Die spannende Frage ist, ob da wirklich ein Zeitfenster zugeht oder ob es ein solches in Wirklichkeit gar nicht gibt, es sich also eher um die metaphorische Verwendung eines Wirklichkeit suggerierenden Begriffs handelt, was in Zukunft durch konkrete Versuche zu beweisen wäre, wie man diese Fertigkeit zum genauen Hinhören und Nachmachen mit entsprechenden Stimuli wach halten kann. Vielleicht bis ins Alter. Ich denke an die „Neurobics“ von Lawrence C. Katz. Warum soll das Gehirn nicht durch geschicktes Setting lernen, seine besten Fertigkeiten (etwa durch Verfeinerung des Hörens und dessen Verbindung zum Sprechen) selbst zu erhalten, also die entsprechenden autopoietischen Fähigkeiten. Die "Plastizität", von der die Hirnforschung spricht, lässt vermutlich mehr zu als sich der "gesunde Menschenverstand" mit seinem Spruch von Hans und Hänschen bisher vorstellen kann. „Herr Knallinger“ (SWR-Radio) und andere Stimmenimitatoren (gibt es nicht viele „Kohls“ und „Raus“ und „Schröders“?) müssten jedenfalls jenseits des *Zeitfensters* aus irgend welchen Gründen zum Hören und Sprechen mit „fremden Zungen“ besonders begabt geblieben sein, was diese Herren allesamt auf Befragen entschieden zu verneinen pflegen.


Übrigens: Die Schwierigkeiten, zwischen Wahrnehmung der Wirklichkeit und Sinnestäuschungen (Peter Schlötters Blog vom 31. Juli) zu unterscheiden, könnten sowohl bei der wissenschaftlichen Untersuchung von eventuellen Zeitfenstern in der Kindesentwicklung als auch hinsichtlich der Auswirkungen beim Radiohören von jedermann untersucht werden, etwa die Frage: „Ist das jetzt der Bundeskanzler oder ein Imitator?“ Metaphorische Zeitfenster sind wohl eher keine wirklichen. Jedenfalls nicht wie die Kehrwoche oder die Bahnen im Raum, bei denen es klare und messbare Termine gibt.


Ich nütze jedenfalls mein reales Zeitfenster. Es kommt so schnell gewiss nicht wieder. Herzlichen Gruß an Kairos und Kronos, an die Elfen und Walker und die vielen guten systemischen Berater aller Art, an Reflektierer und Reflektoren und wer sich auch immer angesprochen fühlt: Es ist eine Lust zu bloggen! Und tschüss bis morgen! Horst Kasper