ABS oder ABS?

Jeder weiß natürlich, was sich hinter dem Kürzel ABS verbirgt? Ohne dieses System hätte wahrscheinlich so manche Rutschpartie auf der Straße zu einer Landung im Straßengraben geführt oder dem Vordermann eine neue Heckklappe beschert.


Gemeint ist aber nicht das alte ABS sondern das neue ABS.


Das Aufmerksamkeits-Belastungs-Syndrom, kurz ausgebremst auch ABS genannt, scheint eine neue Variante der Belastungsstörungen im beruflichen Alltag zu werden. Hatte man vor vielen Jahren, heute natürlich auch noch, mit physischen Belastungen (nicht nur einen Graben pro Tag ausheben sondern zwei) zu tun oder mit einem höheren Arbeitstempo (Akkord), so begannen sich die Menschen auch ihre eigenen Gedanken über ihre Arbeit zu machen. Einige wollten sie dann besonders gut oder besonders schnell machen. Andere mussten sich zur Arbeit zwingen. Andere wiederum verstiegen sich in zu viel Detailarbeit. Andere machten ihre Arbeit zum Lebensinhalt par excellence. Andere wiederum mussten sich täglich zur Arbeit schleppen. Andere wiederum wollten nur Geld verdienen, immer mehr und noch mehr.


In den letzten Monaten begegnet mir in Coachinggesprächen eine neue Variante von Belastungssituationen. Es ist üblich, und ohne scheint es oftmals gar nicht mehr zu gehen, dass es überall sogenannte Change-Projekte gibt. Oftmals vom Vorstand vorgegeben. Oftmals durch Berater professionell sauber kommuniziert. Dann herunter kaskadiert, wie es flott und dynamisch heißt.


In der letzten Zeit gibt es aber Unternehmen, in denen einige Berater offensichtlich gut zu tun haben, die ein Change-Projekt nach dem anderen auflegen. Überall. In allen Bereichen. Immer mit dem nötigen Sinn ausgestattet, damit die Kommunikation stimmt. Bevor die Projekte jedoch zu Ende geführt sind, kommen schon wieder neue. Vielleicht will man durch diese Art der Beschäftigung der Mitarbeiter zu häufige Projekt-Beendigungsfeiern vermeiden. Auf jeden Fall: die Mitarbeiter sind beschäftigt und merken am eigenen Leibe, was es heißt, das Unternehmen zu retten.


Führungskräfte sehen sich daher vor ganz neue Aufgaben und Herausforderungen gestellt. Um überhaupt einigermaßen durchzublicken, ihrem eigentlichen Tagewerk, dem sogenannten Liniengeschäft können sie sich vielfach schon nicht mehr im erforderlichen Maße widmen, hasten sie den Informationen nach. Der neue Statusbericht muss her. Die Regelkommunikation der Projekte hat Prio Eins gegenüber dem Tagesgeschäft. Vernetzung dient der Suche nach letzten Neuigkeiten. Man will ja und darf ja kein neues Change-Projekt verpassen.


Dann sich durch Hunderte Seiten von Power-Point-Präsentationen durchwühlen. Neue selbst verfassen. Oder verfasste überprüfen, ergänzen oder auf den neuesten Stand bringen.


Alles integrieren. Dann noch auf wegen der verschärften gesetzlichen Vorgaben auf die Gesundheit der Mitarbeiter achten. Die eigene Gesundheit? Dafür bleibt keine Zeit mehr. Und im übrigen man funktioniert ja noch.


Bis es eines Morgens zu Schwindelgefühlen, Sehstörungen, Herzrasen, unregelmäßigem Blutdruck usw kommt. Zum Arzt gehen geht nicht. Der sagt ja sowieso nur, man hätte zu viel Stress.


Es kommt zur Überlastung des Wahrnehmungsapparats. Die eigentlich Anstrengung ist die stetig steigende Aufmerksamkeit. Eine Aufmerksamkeit für etwas, das einfach nicht mehr überblickt werden kann. Auch bei höchster Anstrengung nicht mehr beherrschbar ist. Und die erhöhte Aufmerksamkeitsverdichtung wandelt sich zu einer sich zuspitzenden Spirale. Einer Spirale, die die innere Erregung, der man sich dann nicht mehr entziehen kann, zum explodieren bringt.


Ort des Geschehens sind dann die eigenen physiologischen Phänomene (wie Schwindelgefühle, Sehstörungen usw.), die oftmals (vielleicht ja auch i.d.R.) medizinisch nicht begründbar sind.


Ach hätte dieses Aufmerksamkeits-Belastungs-Syndrom, kurz auch ABS genannt, ein altes ABS eingebaut.