Gefangen in sich selbst - zur (non-) verbalen Wirkung von Joachim Löw

Nichts mehr könne ihn aus der Ruhe bringen, so der deutsche Bundestrainer Joachim Löw, am vergangenen Wochenende im Interview mit der WAZ. Die Freude sei größer als der Stress und Störendes würde er gelernt haben auszublenden. Wenn es um Sport geht, so Löw, hätte er keine Angst mehr und nichts könne ihn dann noch aus der Ruhe bringen.


Jetzt gibt es aber nach der Niederlage gegen Mexiko eine Zeit nach dem Wochenende. Würde Löw auch jetzt noch behaupten, er wäre nicht mehr nervös? Würde er immer noch den Eindruck erwecken wollen, er hätte alles im Griff?


Natürlich wünsche ich der deutschen Mannschaft, unserer Weltmeisterelf, ein Weiterkommen in die nächste Runde. Dennoch und vielleicht gerade deswegen scheint es mir angebracht zu sein, einen Blick auf Löws Stressmanagement zu richten. –


Ein weltberühmter Schauspieler wurde an seinem 85ten Geburtstag rhetorisch gefragt, ob er denn nach all den Jahren auf den besten Bühnen der Welt noch Lampenfieber hätte. Die Antwort schien dem Interviewer klar zu sein. Und doch: „Natürlich“ erwiderte der Schauspieler voller Überzeugung, „habe ich noch Lampenfieber. Wäre es anders, wäre ich kein guter Schauspieler mehr“. Stress gehört also zum Geschäft. Auch im Fußball, vor allem jetzt. Löw ist ein hervorragender Bundestrainer, keine Frage. Warum aber, frage ich mich, blendete er im WAZ-Interview seinen Stress aus und stolpert über seinen blinden Fleck?


Löws Worte im WAZ-Interview passten überhaupt nicht mit Löws Mimik auf dem Titelfoto überein. „Die Freude ist größer als der Stress“, kam einher mit einer Mimik, die eher düster, zurückhaltend und ernst wirkte. Die Mundwinkel runtergezogen, gar nicht leicht geschwungen und locker nach oben gezogen, so wie man eben dreinschaut, wenn einem nach Lächeln zumute ist. Es fehlten die Lachgrübchen um die Augen. Und der alles überlagernde ernste Blick schien ein heiteres unbeschwertes Lächeln gar nicht erst zu kennen. Ich bin sicher, Löw kann lachen. Er kann sich freuen. Interessant ist vielmehr, wie Löws Verhaltensmuster unter Stress ist.


Es kann davon ausgegangen werden, dass Spitzenfußball, vor allem bei einem solchen Turnier, enormer Stress ist. Stress für jeden. Wie wirkt Löw, so könnte man sich also fragen, vor allem nonverbal unter Stress, am Spielfeldrand, auch wenn er zumindest in der öffentlichen Kommunikation Stress leugnet? Und was könnte aus seiner Wirkung auf ein typisches Verhaltensmuster unter Stress geschlussfolgert werden? In solchen Situationen unter Stress reagiert der Mensch nämlich eher so, wie er es in seinem Leben gelernt hat, um (den Stress) zu überleben. Man kann dann nicht aus seiner Haut schlüpfen. Man ist eben, wie man ist. Ob man sich das eingesteht oder nicht.


Die ersten Bilder am Sonntag gegen 16.50 Uhr zeigen Löws Ernsthaftigkeit, die der Situation gewiss angemessen war. Diese spezielle Wirkung spiegelt aber auch sein Verhaltensmuster unter Stress. Die Augen angestrengt, unmerklich etwas weiter geöffnet. Die Lippen zusammengepresst wirkt er extrem angespannt. Für einen Moment spiegeln seine Augen etwas, was man als Panik bezeichnen könnte. Sein Blick ist hoch konzentriert und wach, dabei jedoch nicht auf bestimmte Punkte oder Personen gerichtet. Ganz schnell schwingt Löws Blick hin und her so als wollte er alles und zwar immer mitbekommen, auch wenn dies natürlich nicht geht. Schon gar nicht in einem solchen Moment. Löw wirkt gefangen in sich selbst.


Seine Hände stecken nicht richtig in den Hosentaschen. Halb drinnen und halb draußen, als wüssten sie nicht wohin mit sich. Löws Kopf schwingt hin und her so als könnte man den Eindruck bekommen, er würde einem wilden Tier gleich, auf (einen stark gebremsten) Angriff gepolt sein. Lauernd scheint er für Momente etwas gesehen zu haben, um dann aber den Kopf mit einer schwungvollen Bewegung zur Seite zu werfen. Den Blick dabei abgewandt. Er will wahrscheinlich emotional nicht sehen, was er sieht.


Er schluckt immer dabei, kaut manchmal seine Fingernägel, zupft sich an der Nase, um erneut lauernd den Blick sekundenlang zu fixieren.


Gelegentlich wettert er, indem er wild gestikulierend die Arme hochreißt, zur Seite oder nach unten wegschlägt, um dann wieder den Kopf fast schon gewaltig zur Seite wirft. Dabei springt er auf und bremst sich selbst zugleich duckend aus.


Was wäre frage ich mich, wenn er bei der sichtbaren, enormen, unverwechselbaren, gewaltigen Ausdrucksbewegung den Kopf nicht zur Seite werfen würde? Was wäre, wenn er dann auch seine emotionale Ausdrucksbewegung ungebremst auf sein Gegenüber richten würde? Was würde passieren, wenn sich der Blick der vermuteten Panik schlagartig  in einem Blick der Vernichtung wandeln würde?


Löw bremst sich, was sein Verhaltensmuster betrifft, emotional und körperlich aus. Ich denke da vor allem an die sichtlich angespannte Schulter- Nackenmuskulatur. Extrem innerlich aber auch muskulär festgehalten, zügelt er die Schlagkraft seines aggressiven (Selbst-) Ausdrucks. Bei einer solchen Betrachtung könnte man meinen, er hätte unbewusst auch Angst vor seiner eigenen Gewalt, nämlich davor zu erleben, wenn mit ihm die Pferde durchgehen würden.


Warum könnte es Sinn machen, sich diese sehr persönlichen Verhaltensmuster vor Augen zu führen? Jeder hat diese schlummernden emotionalen Gewalten in sich, ob man es will oder nicht. Sich gegen sie zu sperren, sie zu ignorieren, sie zu leugnen führt in der Regel genau zum Gegenteil. Man macht sich körperlich unempfindlich, emotional härter und mental lustloser. – Löw will aber lachen, will sich freuen. Weiß er doch, dass dies eine bedeutsame Ressource ist, mit Stress besser umgehen zu können.


Vor vielen Jahren hatte ich einen beruflichen Ausflug in den Spitzensport u.a. bei der Mannschaft von Bayer Leverkusen 04 gemacht. Der damalige Trainer Dettmar Cramer hatte mich eingeladen mit seiner Mannschaft zu arbeiten. Daher erinnere ich mich noch sehr genau daran, wie es sich beim Ligaspiel am Samstag auf einer Trainerbank anfühlt. Man ist physisch gefangen und emotional ausgeliefert in den schier endlosen, akustischen Wellen, die auf- und abschwellend zwischen den Zuschauerrängen hin und her schlagen. Man kann einfach diesem Geschehen nicht ausweichen. Man ist und bleibt sich selbst und der spezifischen Situation gegenüber gnadenlos ausgeliefert. Cramer lud mich daher ein, über das Bioenergetik-Training seine Spieler hierfür sensibel zu machen und sie sowohl physisch als auch emotional / psychisch zu stärken. Ist doch gerade eine derart erworbene Kompetenz ein sinnvoller (Selbst-) Schutz gegen Stress: ihn nämlich nicht zu ignorieren, sich stattdessen die eigenen Verhaltensmuster unter Stress vor Augen zu führen. Alles mit dem Ziel, sich selbst als die beste Ressource zu erleben und zu nutzen. Als eine gewaltige, körperlich wie emotional, sowie lustvoll überzeugende Kraftreserve.


Löw ist in sich gefangen. Man sieht es ihm an. Auch die Spieler werden es ihm ansehen. Und es ist zu befürchten, dass auch sie, ebenfalls unter enormem Stress, in sich gefangen reagieren werden. Jeder auf seine persönliche Art und Weise. Was ist zu tun? Wie könnte die Reise weitergehen? Löw sowie die Spieler sind hervorragend trainiert, kennen sich aus mit Stressmanagement. Die sonst üblichen Tipps und Tricks würden daher nicht (mehr) greifen. Die Chance besteht also darin, sich mit diesen eigenen blinden Flecken vertraut zu machen, die zu jedem persönlichen Verhaltensmustern dazu gehören. Dies sich körperlich, emotional und mental vertraut zu machen, entspannt, vitalisiert und motiviert zugleich.


Dann wird’s am Samstag schon laufen!