Mr. V.

Er sei der Finanzminister eines bankrotten Staates. Mit diesen Antrittsworten beanspruchte er die öffentliche politische Bühne Europas und landete in Windeseile seinen Aufsehen erregenden Coup. Er nahm sie  unmissverständlich für sich ein und beanspruchte ein zentrales Kapitel politischer Selbstinszenierung. Seine Partei war gewählt. Er zum Finanzminister gekürt. Und die Bühne gehörte ihm. Er war sofort da. Vor allem im Bild. Insbesondere in Bewegung. Seine Kleidung stach dem politischen Beobachter gleich ins Auge. Das unkonventionell über der Hose getragene Hemd, seine Lederjacke und die Motorradfotos stilisierten ihn alsbald zu einem politischen Schwergewicht, zu einem politischen Rocker. Er war da und sofort schieden sich die Geister in Befürworter und Gegner. Entschiedene Befürworter und entschiedene Gegner.


Es geht um Mr. V. Den Politiker dessen Namen alsbald fast jeder problemlos aussprechen können sollte. Es geht um Mr. Varoufakis. Mir fällt es in der Regel schwer, Namen von Griechen problemlos aussprechen. Inzwischen brauche ich seinen auch wahrscheinlich gar nicht mehr aussprechen müssen. Seit dem "Stinkefinger"-Eklat beherrscht Mr. Varoufakis die öffentliche Bühne auch symbolisch. Das Bild eines Stinkefingers scheint auszureichen, um gleich zu wissen, dass es um besagten Mr. V. gehen müsse. Dabei ist egal, ob er ihn gezeigt hat oder nicht.


Vergangenen Montag weilte Mr. V. bei Beckmann im ARD. Habe ihn mir lange nicht so genau angesehen wie am Montag Abend. Er geht, oftmals mit einem fast wippenden Gang, so dass man den Eindruck bekommen kann, er bräuchte gar keinen richtigen Bodenkontakt, um von A nach B zu kommen. Seine sonore Stimme kann betörend wirken, Gestik, Hand- und Armbewegung wirken harmonisch abgestimmt zur unmissverständlichen Melodie der Betonung seiner Worte. In sich stimmig könnte man meinen. Wenn da nicht das gelegentlich über sein Gesicht huschende Lächeln wäre. Ein Lächeln, das bei genauem Hinschauen so gar nicht zu seinen Worten und der jeweiligen Situation passen will.


Mr.V.s Kopf, zur Seite geneigt, verbleibt so als würde er sich ein wenig ducken wollen. Er scheint sich klein machen zu wollen, damit seine große, stattliche Figur nicht mit vollem Nachdruck besticht. Überwältigt?


Nein, er wirkt. Und er will hypnothisch wirken. Varoufakis beherrscht diese rethorische Kunst der Verführung recht gut. Wenn da nicht sein Handeln wäre, seine Bewegung, seine homestories, ungeschminkt auffällig in Szene gesetzt. Er ist ein hypnothischer Verführer. Man mag ihn mögen, dort wo er lebt. Dort wo er gewählt wurde. Dort mag seine Verführungskunst gelingen. Ist doch dort sein Gegenüber Mitspieler auf der gleichen Bühne, auf der griechischen Bühne. Man kennt sich.


Währenddessen wundere ich mich darüber, wie schnell aus einem ehrenwerten Professor, einem Staatsminister, ein symbolischer Stinkefinger wurde. Ein Mr. V. mit besagtem Erkennungsmerkmal.


Wie lange wird es dauern, bis man mit V. nur noch Vendetta verbindet? Aber diese spielt doch, so versuche ich mich zu beruhigen, auf einer ganz anderen Bühne. In einem ganz anderen Theater. :-)