Brief 1 - Albtraum und Pirat - von Andrea

Sehr geehrter Leser, Lieber Bardia!


Im Juli 2021 würde mein Großonkel Paul Watzlawick 100 Jahre alt werden. So widmen wir uns denn hier ein Jahr lang als Blog-Gast des Carl Auer-Verlages im Gedenken an den systemisch-konstruktivistischen Pionier der Frage: Was ist heute von Paul Watzlawicks Werk und Wirken in und zwischen uns immer noch da?


Ich möchte, Bardia, unseren Austausch anschaulich-praktisch beginnen – Stichwort: Paul Watzlawick und seine systemischen Methoden bzw. Interventionen.


(Paradoxe) Lösungen 2. Ordnung: Ein Albtraum. Ein Pirat. Ein Virus.


Der Weltösterreicher Watzlawick eröffnet in der „Einleitung“ das wissenschaftliche Buch „Lösungen“ (Watzlawick/Weakland/Fisch) 1974 im narrativen Stil:


„Als die Herzogin von Tirol, Margareta Maultasch, im Jahre 1334 die Kärntner Burg Hochosterwitz, die hoch über dem Talboden einen steilen Felskegel krönt, einschloss, war es ihr klar, dass die Festung nicht im Sturm, sondern nur durch Aushungerung bezwungen werden könne. Im Laufe der Wochen wurde die Lage der Verteidiger dann auch kritisch, denn ihre Vorräte waren bis auf einen Ochsen und zwei Säcke Gerste aufgebraucht. Doch auch Margaretas Lage war inzwischen schwierig geworden: Die Moral ihrer Truppen verlotterte, das Ende der Belagerung war nicht abzusehen. Zudem hatte sie sich noch andere, vielversprechende militärische Ziele gesetzt. In seiner Zwangslage entschloss sich der Verteidiger der Burg zu einer Kriegslist, die seinen eigenen Leuten selbstmörderisch erscheinen musste; er befahl, den letzten Ochsen zu schlachten, seine Bauchhöhle mit der verbliebenen Gerste vollzustopfen und ihn dann über die steile Felswand auf eine Wiese vor das feindliche Lager hinunterzuwerfen. Wie erhofft, überzeugte diese höhnische Geste Margareta von der «Zwecklosigkeit», die Belagerung fortzusetzen, und sie zog ab.“


Was möchte uns Watzlawick mit der Geschichte zeigen? Dass es „paradoxerweise dazu kommen kann, dass gesunder Menschenverstand und Logik manchmal scheitern, während „unlogische“ und „unvernünftige“ Maßnahmen, wie eben die der Verteidiger von Hochosterwitz, zur erhofften Lösung führen.“ Dass ein „more of the same“ die Lösung 1. Ordnung „innerhalb des“ Systems oft verschlimmbessert, und es vielmehr im Sinne der logischen Typentheorie eine Lösung 2. Ordnung „aus dem System heraus“ braucht.


Und Watzlawick anhand eines praktischen Alltags-Beispiels: „Man könnte diesen Unterschied auch so formulieren: Wer einen Albtraum hat, kann in seinem Traum alles Mögliche versuchen: fliehen, sich verstecken, sich wehren, aus dem Fenster springen usw.; doch führt bekanntlich kein Wechsel von einem dieser Verhalten zu einem anderen zur Lösung des Albtraums. Die Lösung liegt im Wechsel vom Träumen zum Wachen. Erwachen ist aber nicht mehr ein Element des Traums, sondern eine Veränderung zu einem vollkommen anderen Zustand.“


Und siehe an – was so leicht klingt, ist oft für unsere Kunden, Klienten, Menschen unglaublich schwer! Tage, Wochen, Monate, Jahre machen wir Dinge, „weil wir sie schließlich immer so gemacht haben!“. Jawoll! Obwohl es jetzt irgendwie hakt, die Situation verfahren ist, wir leiden, es verflixt noch einmal nicht funktioniert?!?! Der andere ist schuld, oder die Situation verfahren oder KruzTeufelHerrGott noch einmal! Aber echt jetzt!!


Oder auch nicht? Geht es auch anders?! Eines Morgens erzählt mir die vierjährige Luise, dass sie einen bösen Traum gehabt habe; sie sich vor einem Piraten sehr gefürchtet hatte. Ich mache mir echt Sorgen – das arme Kind! Wird sie wohl hoffentlich nicht traumatisiert sein? Peter Pan ist doch nichts für kleine Kinder? Und krame gedanklich schon in den Schätzen meiner hypno-systemischen Weisheiten … Kämpfen? Nein! Den Piraten metaphorisch einsperren? Oder in Luft auflösen? „O weh, meine ich zum m.E. leidenden Kind – was machen wir denn da“! Luise denkt kurz nach und antwortet: „Wir machen den bösen Piraten zu unserem Freund.“ Ich war sprachlos vor so viel kindlicher Klugheit im Sinne einer Lösung 2. Ordnung.


Bardia, Du kletterst gern :-) und arbeitest u.a. als Psychologe und hypno-systemischer Coach Deines Instituts für Vitalpsychologie in Wien – wo möchtest Du anknüpfen? Ein kreativer Umgang mit dem „gekrönten Virus“? Eine andere Interventions-Methode, die Dich bei Watzlawick angesprochen hat?


Feel free to freeride ;)


 


Bardia Monshi
Dr. Bardia Monshi

ist Gründer und Geschäftsführer des iVip - Institut für Vitalpsychologie in Wien. Seit 1999 als Psychologe, hypno-systemischer Coach, Trainer, Speaker und Autor tätig. Er ist ausgebildeter klinischer- und Gesundheitspsychologe und seit 2002 zertifizierter Arbeits- & Organisationspsychologe; Er arbeitet mit multinationalen Konzernen und Olympiasiegern; und ist selbst Kletterer ;)




Bardia Monshi
Dr. Andrea Köhler-Ludescher

Gründerin und Vorsitzende des Paul Watzlawick Instituts (Wien); freie Journalistin und Autorin/Biografin von Watzlawick, ihrem Großonkel; sie ist als hypno-systemische Change Coach, Organisationsberaterin und international Vortragende tätig; mag das Schauspiel und das Schöne, schätzt die Stille und die Stimmung. koehler-ludescher.at/