Brief 5 - Panik und Teufelskreis - von Andrea

Lieber Leser! Lieber Bardia!


In ein wohliges (innerliches) Nicken bin ich gekommen, als ich Deine weltgeschichtenreichen Zeilen gelesen habe! Sehr fein! Das kinästhetische „begreifen“ und vielleicht auch „ergreifen“ liegt für einen Kletterer wie Dich wohl auf der Hand :-) !? Sich breitester Empfindung bzw. Wahrnehmung bewusst zu sein bzw. den Kunden/Klienten einzuladen, multi-sensorisch Erfahrungen zu machen, halte ich für essentiell. Dieser Aspekt zieht sich für mich bei Watzlawick aufgrund seines eigenen teilweise abenteuerlichen Werdeganges – von Österreich in den Nachkriegs-20er und 30er Krisenjahren, quer durch Europa im 2. Weltkrieg, an der Schwelle des Todes in Italien, bei C.G. Jung in der Schweiz, bei Krishnamurti in Indien, die Diktaturerfahrung in San Salvador und schließlich als völliger Neuling in die USA – wie ein roter Faden durch sein Wirken und Werk.


Mittels Injunktion und Als-Ob-Fiktion …


Das Watzlawick´sche Werk-Framing zur Bedeutung von unterschiedlichen Erfahrungen – die mittels (paradoxer) Verhaltensverschreibungen (2. Ordnung) zu veränderten Wirklichkeits-Konstruktionen (2. Ordnung) führen – verweist dabei u.a. auf die injunktive Sprache von Georg Spencer Brown, zitiert Piaget mit „La construction du réelle chez l´enfant (Der Aufbau der Wirklichkeit beim Kinde)“ sowie die Imperative seines Freundes Heinz von Foerster. „Willst Du erkennen, lerne zu handeln. Und handle stets so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst“.


Nach Watzlawick können Lösungen 2. Ordnung auf Basis einer „Als-Ob-Fiktions“-Intervention (nach Hans Vaihinger, 1911) in Form einer Verhaltensvorschreibung – d.h. eines spezifischen neuen Verhaltens – ein positives „corrective emotional experience (korrigierendes Gefühlserlebnis)“ (nach Franz Alexander; Alexander & French 1946) hervorrufen (in: Köhler-Ludescher, Die Entdeckung des gegenwärtigen Augenblicks, Hogrefe 2014 - Gespräch Hubert Christian Ehalt mit Paul Watzlawick: «Konstruktivismus und Ethik», in: Wiener Zeitung, 20. Mai 1994 ), welches einen neuen „inter-actional process“ (systemischen Prozess) auslöst und damit zu einer neuen Wirklichkeitskonstruktion 2. Ordnung führen; d.h. derselben Situation wird eine völlig neue hilfreichere Bedeutung gegeben. In Abgrenzung zur Analyse betont der Kurzzeittherapeut Watzlawick: In der Therapie geht es weit öfter darum, Erlebnisqualität zu vermitteln statt intellektuelle Einsichten. Und oftmals zitiert er Einstein: „It is the theory that decides, what can be observed.” Und paraphrasiert: “In der Therapie ist es die Theorie, die entscheidet, was wir mit dem Klienten tun können.“ z.B. in P. Watzlawick, Die Möglichkeit des Andersseins (Verlag Huber/Hogrefe 2002), Kapitel: Verhaltensvorschreibungen


… Panik und Teufelskreis verabschieden


Ich denke, dass der aktuelle Zeitgeist im Vokabular bspw. des „somatic movement“, „somatic experiencing“ und der „Achtsamkeit“ die somatischen Wahrnehmungen auf Basis der Erfahrung des Körpers wieder und immer stärker entdeckt und mittels aktueller wissenschaftlicher „Bestätigungen bzw. Legitimationen“ langsam noch gesellschafts- bzw. geschäfts-fähiger macht; dies im Sinne von: noch mehr Balance entwickeln gegenüber der kognitiven Kopflastigkeit im Westen – dazu Watzlawick 1955 in Indien und in ähnlichem Kontext der Psychiater Ian McGilchrist, The Master and his Emissary: The Divided Brain and the Making of the Western World (Yale University Press 2009). Wie arbeitet Watzlawick konkret damit?


Ein Mensch, der Angst hat, dass ihn seine Furcht übermannt, er ohnmächtig wird oder erstickt, wenn er das volle Kaufhaus betritt, wendet sich an ihn. Wie kann er dem „Phobiker“ helfen? Die Lösung 1. Ordnung bestünde für ihndarin, dem Menschen gut zuzureden, sich zusammennehmen und gegen die Wiederholung der Panik zu wappnen – zum Beispiel mittels eines Beruhigungsmittels; das hieße nach Watzlawick: Die Vermeidung des Problems ist das eigentliche Problem und der Betroffene in dieser Paradoxie gefangen. Daher lautet seine Lösung 2. Ordnung einer paradoxen Verhaltensauffordeung im Sinne der Einführung einer Gegenparadoxie: „Gehen Sie ins Kaufhaus hinein, und fallen absichtlich in Ohnmacht, gleichgültig, ob Sie die Angst bereits überwältigt hat oder nicht; und zwar gehen Sie so weit in das Kaufhaus hinein, wie Sie wollen, jedoch bleiben Sie unbedingt einen Meter vor dem Punkt stehen, an dem Sie Ihre Angst tatsächlich übermannen würde in Watzlawick/Weakland/Fisch, Lösungen (Verlag Huber/Hogrefe 2013), 7. Kapitel: Lösungen 2. Ordnung.


Oder, vielleicht noch etwas gewagter ;), Watzlawick sinngemäß: Eine Klientin, eine Abteilungsleiterin, die unabhängig und energisch wirkt, hat ein Problem mit ihrem unsicheren Chef, der sie oft in Anwesenheit Dritter heruntermacht. Ihre versuchte Lösung 1. Ordnung besteht darin, dass sie noch distanzierter und herablassender ihm gegenüber wird und er sich ihr gegenüber noch geringschätziger verhält – also ein Teufelskreis, ein „more of the same“. Daher verschreibe ich ihr eine Lösung 2. Ordnung: „Warten Sie die nächste Gelegenheit zu einem Gespräch unter vier Augen ab und teilen Sie Ihrem Chef mit sichtlicher Verlegenheit ungefähr folgendes mit: „Ich wollte Ihnen das schon längst sagen, aber ich weiß einfach nicht, wie ich es sagen soll – es ist etwas Verrücktes, aber wenn Sie mich so behandeln, wie sie es taten, dann erregt mich das – ich weiß nicht wieso, vielleicht hat das etwas mit meinem Vater zu tun. Und dann verlassen Sie das Büro fluchtartig.“ Beim nächsten Mal berichtet mir die Dame, dass das Verhalten des Chefs sich buchstäblich über Nacht geändert hat, er höflich und verträglich ist, obwohl sich nichts wirklich verändert hat. Das Bewusstsein, dass man nun auf eine andere Art und Weise mit einem bedrohlichen Problem fertig werden kann, bringt eine neue Art des Auftretens mit sich, die sich über mannigfache und subtile Kanäle menschlicher Kommunikation ausdrückt und die zwischenmenschliche Wirklichkeit in der gewünschten Weise verändert, auch wenn die Verhaltensverschreibung niemals ausgeführt wird. in: Watzlawick/Weakland/Fisch, Lösungen (Verlag Huber/Hogrefe 2013), Beispiele: Die Bellac-Technik


Um den Bogen unseres Austausches nun zu schließen, lieber Bardia, bist Du wieder am Wort Was lacht Dich denn an? Was sticht ins Auge? Was klingt Dir denn gut?


 


Bardia Monshi
Dr. Bardia Monshi

ist Gründer und Geschäftsführer des iVip - Institut für Vitalpsychologie in Wien. Seit 1999 als Psychologe, hypno-systemischer Coach, Trainer, Speaker und Autor tätig. Er ist ausgebildeter klinischer- und Gesundheitspsychologe und seit 2002 zertifizierter Arbeits- & Organisationspsychologe; Er arbeitet mit multinationalen Konzernen und Olympiasiegern; und ist selbst Kletterer ;)




Bardia Monshi
Dr. Andrea Köhler-Ludescher

Gründerin und Vorsitzende des Paul Watzlawick Instituts (Wien); freie Journalistin und Autorin/Biografin von Watzlawick, ihrem Großonkel; sie ist als hypno-systemische Change Coach, Organisationsberaterin und international Vortragende tätig; mag das Schauspiel und das Schöne, schätzt die Stille und die Stimmung. koehler-ludescher.at/