Brief 6 - Supervision der Granden - von Bardia

Liebe Leserin!
Liebe Andrea!


Die Intervention für die Abteilungsleiterin entzückt mich. Wenn man den Ausgang kennt, klingt es ja total psycho-sozio-logisch! Aber wenn man sich in die Situation deines Großonkels Paul, liebe Andrea, versetzt, dann muss man schon sagen, der gute alte Paul war echt mutig. Spielen wir als ob ... Ich stelle mir eine Fallsupervisionsgruppe vor, TeilnehmerInnen sind Sigmund Freud, Paul Watzlawick, Virginia Satir und Milton H. Erickson. Auf der Warteliste steht bereits Francine Shapiro. In dieser Gruppe werden die aktuellen Fälle dieser großen MeisterInnen mit eben diesen reflektiert und besprochen. Wir besprechen natürlich lösungsorientiert die möglichen Interventionen, von denen wir uns eine Besserung für unsere KlientInnen versprechen. Wichtig bei diesem abenteuerlichen Gedankenspiel ist, eine vorübergehende Amnesie über die Vorgehensweisen und Ausgänge der Fallgeschichten zu entwickeln oder sich zumindest vorzustellen. Wir wissen also nicht, wie Sigmund, Paul, Virginia und Milton arbeiten, und sie haben auch noch keinen Status als anerkannte MeisterInnen.


Es beginnt der Pfeife rauchende Sigmund Freud. Er stellt uns seine neueste Idee vor, also bevor sein psychoanalytisches Setting sich als Klischee einer Psychokur in den Köpfen der Menschen verankert hatte. Sigmund denke daran, demnächst seine Klientin sich auf eine Couch legen zu lassen, während er außer Sichtweite hinter ihrem Haupt säße. Dann wolle er sie auffordern ihre Träume zu erinnern und überhaupt aufkommenden Gedanken ohne jegliche Zensur zu äußern, selbst wenn es sexuelle Fantasien sind. Alles ist willkommen.


Potzblitz! Ein Raunen geht durch die Supervisionsgruppe. Ist das nicht etwas gewagt, womöglich gefährlich? Klingt das nicht alles fast unsittlich?


Dann kommt Paul Watzlawick an die Reihe. Er schildert kurz die Situation der oben beschriebenen Abteilungsleiterin und meint, er habe vor, ihr ein Verhalten zu verschreiben. Sie solle ihrem widerlichen Chef in sichtlicher Verlegenheit sagen, dass sie jedes Mal, wenn er sie so erniedrigend behandle, wolllüstige Gefühle erlebe. Danach, fügt Paul hinzu, solle sie aus dem Raume laufen und ihn stehen lassen. Jesus-Maria, entfährt es den versammelten Psycho-Profis. Ist das noch professionell? Was wenn sich der Chef sexuell animiert fühlt!


Wir haben uns die Schweißperlen eben von der Stirn getupft. Virginia Satir ist nun dran und sie schlägt nun vor, sie werde demnächst eine „Parts Party“ veranstalten. Wir von der Supervisionsgruppe sind verblüfft. Wir fragen nach, was das denn sein solle. Virginia steht auf, blickt unsereiner durch ihre Brille eindringlich an und erklärt, dass sie ihren Klienten in seine unterschiedlichen psychischen Anteile zerlegen möchte. Sigmund kann damit durchaus etwas anfangen! Im Gegensatz zu Sigmund wolle sie aber weder liegen noch sitzen dabei. Auch ist sie der Meinung, dass sie das vor einer Gruppe machen wolle. Denn dann könnten diese Anteile von anderen GruppenteilnehmerInnen „übernommen“ werden, sodass eine Art Stegreiftheater zwischen den Anteilen entstehen würde. Das muss doch helfen!


Es verschlägt uns die Stimme. Die ersten Psycho-Profis verlassen die Gruppe. Sind wir hier im Irrenhaus? Schlimmer kann es ja wohl kaum werden.


Als nächstes kommt der Mann im purpurroten (oder violetten?) Hausanzug und der riesigen silbernen Brosche dran. Milton Erickson schildert uns, dass seine Frau erst kürzlich eine Wohnung für seinen neuen Klienten namens John besorgen ließ. Milton erläutert, dass er nämlich wolle, dass dieser junge Mann, ein psychiatrischer Fall, gleich in der Nähe seines Hauses und seiner Praxis wohnen könne. Er möchte sich in nächster Zeit nämlich intensiver um John kümmern. Seine Tochter werde, so sein Plan, auch einen Hund für John aus dem Hundezwinger besorgen, weil John mit einem Hund gut lernen könnte, Verantwortung zu übernehmen. John wird den Hund freilich nicht einfach so bekommen können, weil er für John den Hund in seinem Haus unterbringen werde. John wird also, um bei seinem Hund zu sein, zwei Mal täglich zum Füttern zu Milton nach Hause kommen müssen. Milton schildert schmunzelnd weiter, dass er den Hund vor John schlecht behandeln würde. Er werde den Hund zum Beispiel immer wieder von seinem Rollstuhl aus anhupen und verjagen. John würde dann sicher Mitleid empfinden, eine Allianz mit dem Hund entwickeln und ihn vor seinem Therapeuten retten wollen. Zusätzlich werde er John Briefe schreiben, in denen er Reime über den Hund dichten würde, auch Witze würde er das eine oder andere Mal schicken. Aber vor allem wolle er über die Abenteuer des Hundes schreiben, in die er Botschaften für John verpackt. Milton ist zuversichtlich, dass all das wichtige Erfahrungen für John werden würden. Nachdem einige von uns mittlerweile die geistige Gesundheit der hier beschriebenen, für uns ja noch unbekannten MeisterInnen in Frage gestellt haben, kommt ein neues Gruppenmitglied dazu. Es kann nur besser werden, denken sich manche. Francine Shapiro, die auf der Warteliste stand, erhält nun die Gelegenheit in die Gruppe einzutreten. Sie möchte auch gleich ihre neueste Methode für traumatisierte PatientInnen vorstellen. Bei dieser ist es sehr wichtig, dass die PatientInnen an ihre traumatisierten Erfahrungen denken. Währenddessen wolle sie unter anderem mit zwei Fingern vor den Augen traumatisierter KlientInnen herumwischen, damit diese mit ihren Augen den Fingern folgen und Augenbewegungen ähnlich der REM-Phase im Schlaf imitieren.


Auweiah, mit der Hand vor dem Gesicht herumwischen. Was kommt als nächstes? Sich auf die Stirn klopfen?


Was lernen wir von Paul & Co.?


• All die großen MeisterInnen waren mutig genug, um mindestens so „verrückt“ zu sein, wie ihre KlientInnen.


• Diese MeisterInnen sind mindestens so überzeugt von ihren Lösungsideen, wie ihre KlientInnen von ihren Problemen.


• Lösungen 2. Ordnung sind Überraschungen! Die harte Schale der problemhaften Lösungsversuche 1. Ordnung wird durchbrochen, und herein bricht das Licht, das Leonhard Cohen mit den Worten besungen hat: „There is a crack in everything, that is how the light gets in.“


• Diese LebensmeisterInnen haben eindeutig alle begriffen, dass das gelingende Leben nicht erdacht und ersprochen werden kann. Es kann nur erlebt werden. Das wiederum erinnerte mich an ein Graffiti einer unbekannten Künstlerin, die auf eine Wiener Mauer sprühte: Jeder Mensch ist ein Kunstwerk, gezeichnet vom Leben.


 


Bardia Monshi
Dr. Bardia Monshi

ist Gründer und Geschäftsführer des iVip - Institut für Vitalpsychologie in Wien. Seit 1999 als Psychologe, hypno-systemischer Coach, Trainer, Speaker und Autor tätig. Er ist ausgebildeter klinischer- und Gesundheitspsychologe und seit 2002 zertifizierter Arbeits- & Organisationspsychologe; Er arbeitet mit multinationalen Konzernen und Olympiasiegern; und ist selbst Kletterer ;)




Bardia Monshi
Dr. Andrea Köhler-Ludescher

Gründerin und Vorsitzende des Paul Watzlawick Instituts (Wien); freie Journalistin und Autorin/Biografin von Watzlawick, ihrem Großonkel; sie ist als hypno-systemische Change Coach, Organisationsberaterin und international Vortragende tätig; mag das Schauspiel und das Schöne, schätzt die Stille und die Stimmung. koehler-ludescher.at/