Brief 17: Graf Bobby und das Dienstmädchen Mitzi ODER Du hast unrecht, weil du mit mir streitest! - von Andrea

Liebe Sophia,
Geneigter Leser*In !


Hochinteressant – welche Aspekte bei Dir im Vordergrund stehen Sophia! Zum Beispiel Deine Reflexion, welche Wirkung Du auf andere hast; und die von Dir genannte Sucht erinnert mich an den Random Reward Effect, der insbesondere in der Glücks-Spielindustrie und nunmehr in vielen Social Media-Formaten genutzt wird, um „bona-fide-addicts“ durch zufällige Belohnung (in unterschiedlichster Form) „am Ball zu halten“ (see “The short-term, dopamine-driven feedback loops that we have created are destroying how society works,” in: https://sitn.hms.harvard.edu/flash/2018/dopamine-smartphones-battle-time/) Wie spannend, dass Du Dein Medien- und Sozial-Verhalten geändert hast, um in eine andere Beziehungsgestaltung zu kommen! Wie beobachtest Du das bei anderen?


Graf Bobby und das Dienstmädchen Mitzi


Womit ich weiter und zum 2. Axiom springe – Watzlawick/Beavin/Jackson formulieren es als Axiom eines hypothetischen Kalküls, dass „jede Kommunikation einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt hat, derart, dass letzterer den ersten bestimmt und daher eine Metakommunikation ist. (Anmerkung in einer Fußnote dazu: „In diesem Definitionsversuch nehmen wir etwas arbiträr an, dass der Beziehungsaspekt den Inhalt determiniert oder subsumiert, obwohl es logisch ebenso richtig wäre, zu sagen, dass eine Klasse (Menge) von ihren Elementen – und daher die Beziehung vom Inhaltsaspekt – bestimmt wird. Da unser Hauptinteresse aber die metakommunikativen Aspekte der Pragmatik und weniger die Eigenschaften des Informationsaustausches sind, ziehen wir die oben genannte Formulierung vor.“)


Watzlawick erzählt dazu gerne die Geschichte von Graf Bobby und dem Regen: Das Dienstmädchen Mitzi meint zu Graf Bobby: „Herr Graf, wir bekommen Regen.“ Worauf sich der Graf strafft und erwidert: „Mitzi, Sie bekommen vielleicht Regen, und ich bekomme vielleicht Regen.“ Das „wir“ der Beziehungsebene mit einem Dienstmädchen kommt für den aristokratischen Grafen aus Standesdünkel nicht infrage. Je spontaner und „gesünder“ die Beziehung zwischen zwei Menschen ist, stellen die Autoren fest (MK 2.31), umso mehr in den Hintergrund rückt sie. Im Gegensatz dazu sind „kranke“, das heißt konfliktreiche Beziehungen durch wechselseitiges Ringen um ihre Definition gekennzeichnet, wobei der Inhaltsaspekt fast völlig an Bedeutung verliert. Sie definieren den Beziehungsaspekt als eine „Kommunikation über eine Kommunikation“, das heißt „Metakommunikation“ (MK 2.32). Im Sinn der logischen Typenlehre von Alfred North Whitehead und Bertrand Russell würde jede Vermischung dieser zwei Arten von Information sinnlose Resultate ergeben*. Beispielsweise stellt der Satz „Bitte dieses Schild nicht beachten!“ eine Vermengung von Kommunikation und Metakommunikation dar und kann zu Beziehungsproblemen führen, die ihrer Struktur nach den bekannten Paradoxien der Logik gleichen. Wie das berühmte Beispiel des Kreters Epimenides, der sagte: «Alle Kreter lügen.» Lügt Epimenides nun oder sagt er die Wahrheit?


Du hast unrecht, weil du mit mir streitest!


Als Beispiel aus einem streitbaren Ehealltag wird ein Partner angeführt (MK 3.31): „Schön, Du magst recht haben, aber du hast unrecht, weil du mit mir streitest!“; und die Autoren zitieren Cumming: „Ich nehme ferner an, dass d[ies]er Selbstbegriff immer wieder neu gebildet werden muss, wenn wir als Menschen und nicht als Objekte existieren wollen, und dass der Selbstbegriff hauptsächlich in kommunikativer Auseinandersetzung neu gebildet wird.“ Im Sinne einer kommunikativen Ich- und Du-Definition werden drei syntaktische Kategorien eingeführt: Bestätigung des anderen, Verwerfung und Entwertung (disconfirmation); wobei letzterste vom pragmatischen und psychopathologischen Standpunkt aus als wichtig gesehen wird und mit Ronald Laing auf William James verwiesen wird, der meinte: „Eine unmenschlichere Strafe könnte nicht erfunden werden, als dass man – wenn dies möglich wäre – in der Gesellschaft losgelassen und von allen ihren Mitgliedern völlig unbeachtet bleiben würde (MK 3.33).
Liebe Sophia, wo möchtest Du nun anknüpfen? Wie verstehst Du das 2. Axiom? Wo begegnet es Dir und wie im Alltag? Wie erlebst Du Bestätigung und Entwertung in sozialen (Online-)Gruppen?


Ich freue mich, von Dir zu lesen!


Liebe Grüße!


 


Sophia Saad
Sophia Saad

ist aufgewachsen und wohnt in Riegel. Schulabschluss Abitur 2019, Aufenthalt im Libanon nach dem Abitur (Familie väterlicherseits). Studienbeginn Liberal Arts and Sciences Wintersemester 20/21. Hobbys: Reiten und Lesen. Derzeit auch in Ausbildung zur Mediatorin.




Andrea Köhler-Ludescher
Dr. Andrea Köhler-Ludescher

Gründerin und Vorsitzende des Paul Watzlawick Instituts (Wien); freie Journalistin und Autorin/Biografin von Watzlawick, ihrem Großonkel; sie ist als hypno-systemische Change Coach, Organisationsberaterin und international Vortragende tätig; mag das Schauspiel und das Schöne, schätzt die Stille und die Stimmung. koehler-ludescher.at/