Brief 18: Mein Gegenüber auf sozialen Medien einschätzen können - von Sophia

Hallo Andrea!


Vielen Dank für diese erneut sehr aufschlussreichen Impressionen. Das zweite Axiom ist für mich vielschichtiger und komplizierter als das 1. Axiom. Durch die Determinierung der Bedeutung der Komponenten Inhaltsaspekt und Beziehungsaspekt und die Rückführung auf die Metakommunikation wird eine weitere Ebene geöffnet.


Eine Kommunikation über die Kommunikation.


Der Beziehungsaspekt der Kommunikation ist meiner Ansicht nach für die Beteiligten, aber auch für Außenstehende ersichtlich, und er zeigt die gesellschaftliche Beziehung der Beteiligten an. Einmal durch die Wahl der Anrede wie „Sie", "Herr", "Frau", oder "Du", Vorname, Kosename etc. und durch die Wahl der Worte. Zum Beispiel lässt sich die Benutzung fachlicher Ausdrücke durch ein Kollegengespräch erklären, kann aber auch imponierend oder einschüchternd auf den Kommunikationspartner wirken. Die Benutzung von Umgangssprache lässt auf eine engere und nicht förmliche Beziehung schließen. Hier gibt es aber noch viel mehr als nur die "gesellschaftliche" Beziehung. Nämlich die Beziehung der Menschen untereinander. Ich denke, jeder war schon einmal Zeuge einer Kommunikation, bei der ein Machtverhältnis ganz klar zu erkennen war. Um auf die Fachausdrücke zurückzukommen: In einem Gespräch mit Verwendung von Ausdrücken, die das Gegenüber nicht versteht, kann ein Ungleichgewicht entstehen. Möglicherweise fühlt sich derjenige, der die Ausdrücke nicht versteht, unzulänglich und kleiner als sein Gegenüber.
Interessant ist auch, wie etwas gesagt wird, also die paraverbale Ebene; sie hat bedeutenden Anteil an der Kommunikation. Dieses gesamte Zusammenspiel sendet Signale auf der Beziehungsebene.


Seit ich mir des Beziehungsaspektes in Kommunikationen bewusst geworden bin, gehe ich achtsamer mit Worten und deren Betonung um. Beziehungen werden von Menschen durch Kommunikation getragen, und ich kann bis zu einem gewissen Grad steuern, wie die Beziehung aussehen soll. Ich bin der Überzeugung, dass die Art, wie ich spreche, ein flexibler und kontextabhängiger Teil von mir ist, den ich verändern kann und muss.
Der Beziehungsaspekt bleibt leicht auf der Strecke bei Kommunikationen, die ohne die nonverbale Ebene der Mimik und Gestik auskommen, wie Telefongespräche, oder nur geschrieben sind. Konflikte treten meiner Erfahrung nach häufiger in solchem Kontext auf. Auch das Lösen von Konflikten ist für mich leichter in Persona als auf diesem unpersönlichen Weg.


Hier möchte ich an Social-Media anknüpfen – ich hatte bereits von dem Suchtaspekt gesprochen. Ein weiterer wichtiger Aspekt für mich, Plattformen wie Instagram und Facebook nicht länger zu nutzen, waren die Auswirkungen auf das reale Leben. Beziehungen zu Mitmenschen wurden für mich negativ beeinflusst. Meiner Meinung nach hängt das mit dem Aufbau solcher Plattformen zusammen. Das Bewerten und Kommentieren von Bildern führte dazu, dass ich traurig und enttäuscht war, wenn ich nicht genügend Likes bekommen habe. Auch habe ich mich gefragt, wieso mir jemand nicht folgt oder bei meinen Bildern nicht auf „gefällt mir“ drückt. Das habe ich dann als Ablehnung wahrgenommen. Zu der Zeit war ich zwischen 14 und 16 Jahren alt. Ich denke, da war der Wunsch, dazuzugehören und gemocht zu werden, ausgeprägter als er es jetzt ist. Ich habe gemerkt, dass die Art, wie eine zwischenmenschliche Beziehung definiert und wahrgenommen wird, sehr stark abhängig war von Kommentaren und Emojis.
Um auf das 2. Axiom zurückzukommen: Jede Reaktion oder Nichtreaktion auf diesen Plattformen wurde in meinem Umfeld automatisch auf ihre Beziehungsaussage hin überprüft. Das habe ich als Belastung wahrgenommen und die Apps gelöscht. Eine Erklärung meinerseits wäre, dass das Fehlen der paraverbalen und nonverbalen Ebene zu einer Überkompensation führt. Ich denke, dass diese unvollständige Kommunikation zu sehr großen Unsicherheiten führen muss. Der Mensch ist in der Lage, sein Gegenüber einzuschätzen, Ablehnung oder Zuneigung wahrzunehmen, dies aber nur durch non- und paraverbale Aspekte.
Ich weiß, dass es andere Menschen gibt, die solche Plattformen als Inspiration oder Anregung wahrnehmen. Deshalb möchte ich herausstellen, dass dies nur meine subjektiven Erfahrungen und Interpretationen darstellt.


Desweiteren nehme ich kulturelle Unterschiede in Bezug auf die Bewertung des Beziehungsaspektes wahr. Ich war nach meinem Abitur für ein paar Monate im Libanon. Hier ist mir aufgefallen, dass der Inhalt eines Gesprächs nicht so zielgerichtet und klar ist wie in Deutschland. Probleme oder anderes direkt anzusprechen gilt zum Beispiel als unhöflich. Der Fokus der Kommunikation liegt unbewusst wesentlich stärker auf dem Beziehungsaspekt. Darüber hinaus werden Beziehungen, Gemeinschaft und Zugehörigkeit insgesamt stärker bewertet. Kommunikation in solchen Kulturen mit hoher Kontextrelevanz ist verbal, non- und paraverbal anders als ich es aus Deutschland kenne.


 


Sophia Saad
Sophia Saad

ist aufgewachsen und wohnt in Riegel. Schulabschluss Abitur 2019, Aufenthalt im Libanon nach dem Abitur (Familie väterlicherseits). Studienbeginn Liberal Arts and Sciences Wintersemester 20/21. Hobbys: Reiten und Lesen. Derzeit auch in Ausbildung zur Mediatorin.




Andrea Köhler-Ludescher
Dr. Andrea Köhler-Ludescher

Gründerin und Vorsitzende des Paul Watzlawick Instituts (Wien); freie Journalistin und Autorin/Biografin von Watzlawick, ihrem Großonkel; sie ist als hypno-systemische Change Coach, Organisationsberaterin und international Vortragende tätig; mag das Schauspiel und das Schöne, schätzt die Stille und die Stimmung. koehler-ludescher.at/