Perspektivwechsel

Diese Tage erscheint mein erstes Buch „Samtalen om Sex“ auf deutsch. Es heißt „Sprechen über Sex“. Ich schreibe darüber, wir alle im Gesundheitswesen Tätige mit Patienten einfacher und besser über Sex sprechen können. Das ist ein wichtiges und nötiges Thema. Selbst in der eigenen Beziehung schaffen es viele von uns nicht, mit dem Partner offen und ehrlich über Sex und die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu reden. Dafür gibt es viele Gründe, auf die ich später in einem der nächsten Blogs noch eingehen werde. Heute soll es dagegen zunächst um das Gespräch mit sich selbst, genauer gesagt, um das das Gespräch mit dem eigenen Sexualorgan gehen.


Männer wissen in der Regel, wie ihr eigenes Sexualorgan aussieht. Bei Frauen ist das meist anders. Da reicht es nicht, an sich herunter zu schauen, sondern es muss eine bewusste Entscheidung geben. Frauen benötigen einen Spiegel, um überhaupt einen Eindruck zu bekommen, wie sie „da unten“ aussehen. Es gibt immer noch (zu) viele, die das nie tun. Und die, die es tun, sind oft unglücklich darüber, was sie sehen. Nicht zu unterschätzen: Bei Männern ist das oft auch so - viele finden, ihr Penis sei zu klein, zu krumm, zu lang, zu dick, zu dünn ...


Erschwerend hinzu kommt die Unsicherheit, wie man sein Geschlechtsorgan überhaupt nennt. Welches Wort soll man nutzen? Gerade Frauen tun sich bei der Benennung ihres Sexualorgans schwer. Mumu, Vagina, Perle, Vulva, Scheide? Und was genau ist dann damit gemeint? Viele Menschen sagen zum Beispiel Vagina für das Sexualorgan einer Frau, aber das ist falsch. Die Klitoris ist das Sexualorgan. Also, wie benennt man sein Sexualorgan? Benutzt man klinische Wörter oder kindliche, vulgäre oder sagt man ganz neutral „da unten“? Manche Begriffe sind eher schambehaftet, andere witzig oder liebevoll, wieder andere sehr distanziert.


Es gibt Menschen – Frauen wie Männer –, die geben ihrem Geschlechtsteil humorvoll einen Namen, als wäre es ein eigenständiges Wesen. Diesen Gedanken möchte ich gerne aufgreifen und Sie zu einem Perspektivwechsel einladen: Betrachten sie bitte Ihr Geschlechtsteil als ein selbständiges Wesen. Geben Sie ihm Autonomie und Kommunikationsbereitschaft. Wie das gehen soll? Stellen Sie sich vor, ihr Sexualorgan könnte reden und würde Ihnen einen Brief schreiben. In dem Brief würde es Ihnen Feedback zu Ihrem Umgang mit ihm geben. Was denken Sie, würde es Ihnen schreiben? Vielleicht etwas über mögliche schöne Erfahrungen? Vielleicht auch etwas über unangenehme Erfahrungen? Würde es Ihnen eher Vorwürfe machen oder wäre es voller Dankbarkeit? Oder vielleicht würde es sich ganz anders äußern?


Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, in der alles optimal zu klappen hat, wo jeder funktioniert und wo kein Platz ist für Innehalten oder mal Zeit ist, ganz zu sich kommen. Vielleicht merken Sie das auch an Ihrem eigenen Umgang mit Ihrer Sexualität. Vielleicht fühlen Sie sich deswegen unzulänglich. Ich würde Sie gerne einladen, zu überlegen, wofür Sie eigentlich dankbar sind. Vielleicht gibt es ein oder zwei Dinge, die Ihr Geschlechtsteil toll gemacht hat. So ein respektvoller Umgang mit sich selbst ist gut, auch und gerade wenn es um die eigene Sexualität geht. Sich selber ernst zu nehmen ist nicht nur wichtig, es kann Ihnen helfen, zu einem besseren Dialog mit anderen zu kommen.


Wer mit Behutsamkeit und Achtung mit seinem eigenen Körper spricht, dem fällt ein Gespräch über Sex mit wichtigen anderen Menschen viel leichter.