Das erste Mal: Prägung oder Erinnerung?

Wenn der erste Geschlechtsverkehr eine positive Erfahrung war, wird die gegenwärtige Sexualität auch als besonders befriedigend erlebt. Zu diesem Ergebnis kommt eine US-amerikanische Studie an ein paar Hundert Studierenden und zieht eine ganze Reihe Pressemeldungen nach sich, vom Typ „das erste Mal - mehr als ein Meilenstein“.


Völlig überschätzt kommt mir das vor. Erstens liegt das erste Mal bei den Studenten nur wenige Jahre zurück, da konnte sich noch wenig entwickeln. Interessanter wäre ein Rückblick  über ein paar Jahrzehnte, in denen das reale Leben seinen Dienst an der sexuellen Zufriedenheit verrichten konnte.


Zweitens und bedenkenswerter finde ich die Überlegung, wie herum man bei einer Querschnittstudie die Ursachenerzählung lesen will. Was deterministisch nach „Prägung“  aussieht, kann auch das Ergebnis einer Erinnerungskorrektur sein: Wenn es mir heute beim Sex gut geht, lasse ich eher einen freundlichen Blick auf  das erste Mal fallen und erzeuge so ein konsistentes Bild meiner sexuellen Biographie.


Dass selektive Erinnerung sogar eine Voraussetzung für Zufriedenheit ist, weiß man aus der Glücksforschung. Die Kunst, verunglückte sexuelle Begegnungen zu vergessen, zu bagatellisieren, mit Humor zu nehmen oder sie gegenüber positiven Erlebnissen in den Hintergrund treten zu lassen, ist sicher keine unbedeutende Kompetenz, um zu so etwas wie sexueller Zufriedenheit zu gelangen.


Um Mißverständnissen vorzubeugen: Ich befürworte nicht das Vergessen und unterschätze auch nicht traumatische Erlebnisse, die schwer zu  integrieren sind. Ich meine aber, dass wir in erster Linie die schreibenden Autoren, nicht die geschriebenen Texte unserer sexuellen Biographie sind.   


Quelle:


http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/0092623X.2012.675023