Carl-Auer-Interview mit Ulrich Clement
Herr Clement, im Herbst 2016 erscheint im Carl-Auer Verlag Ihr neues Buch zum Thema systemische Paartherapie in der Praxis. Mit welchen Problemen kommen Klienten zu Ihnen in die Sexual- bzw. Paartherapie?
Ulrich Clement: Unverziehene Vorwürfe, unterschiedliche sexuelle Interessen, Affären, das sind die drei Großthemen.

Carl-Auer: Was sind erste Anzeichen für Paare, dass sie sich Hilfe in der Therapie holen sollten?
Ulrich Clement: Das ist nur vordergründig ein sexuelles Symptom. Meist geht es um ein tiefergehendes Leiden daran, sich nicht lebendig zu fühlen, nicht „bei sich“ zu sein und sich als Frau oder Mann nicht authentisch zu fühlen.

Carl-Auer: Ist die Sexualtherapie ein heikles Thema? Was müssen Therapeuten dabei berücksichtigen?
Ulrich Clement: Das hängt sehr von der therapeutischen Atmosphäre ab, die Therapeut und Klienten gemeinsam schaffen. Das hat mit „Tabus“ im konventionellen Sinne nur am Rande zu tun. Entscheidend ist, dass die Therapeuten die Affektdynamik halten und konstruktiv nutzen können, die bei dem sexuellen Thema hochkochen kann. Auch wenn das zu einem gewissen Teil mit allgemein psychotherapeutischen Kompetenzen geleistet werden kann, halte ich eine spezifische Weiterbildung für äußerst nützlich.

Carl-Auer: Warum sollten Paar- und Sexualtherapeuten dieses Buch lesen?
Ulrich Clement: Damit sie ihre Arbeit als Beitrag zu ihrer Lebensqualität erleben können. Ich erlebe Sexual- und Paartherapeuten häufig angestrengt und belastet durch die Paarkonflikte, oft begründet mit dem Gefühl, dass eine Paartherapie doppelt so schwierig sei, weil doppelt so viele Personen beteiligt sind. Das Buch vermittelt eine Haltung, mit der Therapeuten sowohl ernsthaft als auch heiter bleiben können.

Carl-Auer: Was unterscheidet Ihr Buch von den anderen Büchern zum Thema Sexualtherapie?
Ulrich Clement: Der Ton und der Inhalt. Ich habe großen Wert auf eine plausible Verbindung und einen kurzen Weg zwischen Theorie und Praxis gelegt. Das Buch geht mehr als andere auf die Faszination therapeutischer Prozesssteuerung ein. Es ist also nicht nur ein Problemlösungslehrbuch, sondern eine Anleitung, auch „auf hoher See“, also in kritischen therapeutischen Situationen kompetent die Übersicht zu behalten und ein ergebnisoffenes Geschehen hilfreich zu moderieren.

Carl-Auer: Was ist das Besondere an der systemischen Sexualtherapie?
Ulrich Clement: Die Paarung von etablierten pragmatischen sexualtherapeutischen Ansätzen mit der Systemtheorie hat ein vitales Kind auf die therapeutische Welt gebracht. Sie hat der Sexualtherapie theoretische und praktische Eleganz verschafft und der systemischen Theorie sinnliche Impulse gegeben.

Carl-Auer: Was weiß man als Leser nach der Lektüre Ihres Buches mehr oder besser?
Ulrich Clement: Der Leser weiß besser, wie er sich mit entspannter Neugier auf ein amplitudenreiches Erlebnis- und Handlungsfeld begibt. Gerade weil Sexualität nachhaltig zu Parteilichkeit einlädt, ist die konsequent gelassene Neutralität eine Haltung, die reizvolle und oft überraschende Perspektiven eröffnen kann. Zum Beispiel, wenn die Haltung „Kein Sex ist auch eine Option“ gleichwertig mit der Hoffnung auf blutdruckerhöhende Leidenschaft ins Spiel gebracht wird. Oder wenn Selbstverständlichkeiten infrage gestellt werden, wie die oft formulierte Sehnsucht, es solle wieder so schön werden wie am Anfang. Das bietet eine erfrischende, gegenwartsorientierte Perspektive für Klienten, die entweder vorwurfsvoll in der Vergangenheit hängen bleiben oder die sich in Hoffnungen auf eine bessere Zukunft flüchten. Dasselbe gilt übrigens auch für die Leserin.

Carl-Auer Literaturtipp:
Ulrich Clement hat u.a. einen Beitrag zu Angelika Eck (Hrsg.): Der erotische Raum – Fragen der weiblichen Sexualität in der Therapie" beigesteuert.
Hier geht es zum  Blog Clements Verkehrsnachrichten".