Interview mit Wilhelm Geisbauer zu „Führen mit Neuer Autorität“

Das Online-Magazin changeX hat soeben ein ausführliches Gespräch mit Wilhelm Geisbauer über sein neues Buch „Führen mit Neuer Autorität – Stärke entwickeln für sich und das Team“ veröffentlicht. Ein kurze Version des Interviews können Sie hier nachlesen. 


Was unterscheidet „alte“ von Neuer Autorität?
Wilhelm Geisbauer: Ein Vordenker der Neuen Autorität, Haim Omer, sagt: „Die alte Autorität hat ausgedient, keine Führungskraft will autoritär sein.“ Aber ich nehme in Coachings eine latente Unsicherheit wahr: Gefragt nach dem Führungsverständnis höre ich oft „partnerschaftlich“, „teamorientiert“ oder „demokratisch“.  Handelt es sich dabei um den autoritären Führungsstil, kooperativ verpackt? Das Modell der Neuen Autorität stützt sich auf sieben Säulen: Präsenz, Transparenz, Beharrlichkeit, Entschiedenheit, Selbstführung, Deeskalation und Vernetzung. Dazu kommen die Entwicklungsfelder: lösungsorientierte Kommunikation, systemisches Denken und Handeln und Reflexion.

Was ist Führung?
Wilhelm Geisbauer: Hier halte ich es mit Fritz B. Simon, der vor allem zwei Führungsfunktionen sieht: den Aufmerksamkeitsfokus zu lenken und die Kommunikation zu beeinflussen. Und dann gibt es noch die Selbststeuerung der Geführten, die sich förderlich oder hemmend auswirken kann. Führungskräften, die die Kraft der Selbstorganisation einkalkulieren und sich konstruktiv damit arrangieren, wird Autorität zugesprochen. Als Ergebnis dieses Prozesses darf eine positive Wirkung auf die weichen Faktoren erwartet werden: Vertrauen, Kreativität, Zuversicht, Lern- und Veränderungsbereitschaft, Teamgeist. Anderenfalls  verkümmern diese positiven Faktoren und erzeugen Verkrustung und Stillstand.

Warum ist Führung ohne Autorität nicht möglich?
Wilhelm Geisbauer: Stärker auf Selbstorganisation ausgerichteten Organisationsformen fehlt (noch) eine adäquate Führungshaltung. Das Modell der Neuen Autorität hingegen ist auf Agilität angelegt: es hilft, Stärke zu entwickeln, für sich und das Team. Autorität wird demjenigen zugesprochen, der die Selbstorganisation des Einzelnen achtet und seine Würde wahrt. Ohne Autorität passiert das nicht, und es kommt zu Mangelzuständen bis hin zu Gesundheitsstörungen.

Welche Funktion hat das „Reteaming“ auf dem Weg hin zur Neuen Autorität?
Wilhelm Geisbauer: Das Reteaming ist ein Kommunikationsmodell, dessen Vorteil darin liegt, dass keine Schuldigen gesucht werden. Man verzichtet wegen der Gefahr der Kränkung ganz auf eine Analyse des Problems – nach dem Motto: Niemand ist für das Problem, jeder aber für die Lösung verantwortlich. Reteaming gibt Führungskräften ein pragmatisches Instrument in die Hand, wie sie Probleme mit ihrem Team lösen können, ohne dass jemand gekränkt wird. Der konstruktive Umgang mit Problemen hat unweigerlich einen positiven Einfluss auf die Kultur des Teams bzw. der Organisation.

Warum wird „alte“ Autorität langfristig scheitern?
Wilhelm Geisbauer: Die aktuellen Ergebnisse namhafter Meinungsforschungsinstitute liefern zum Thema Mitarbeiterzufriedenheit und -engagement seit Beginn der Wirtschaftskrise 2008/09 alarmierende Zahlen. Demnach sind die meisten deutschen Arbeitnehmer mit sich und ihrem Leben zufrieden. Allerdings fühlen sich 70% der Beschäftigten in Deutschland emotional gering an ihr Unternehmen gebunden. Studien belegen, dass Mitarbeiter für die Entwicklung einer emotionalen Bindung ans Unternehmen vor allem einen kontinuierlichen Austausch mit der Führungskraft brauchen. Jedoch nur 14% stehen mit ihnen im Dialog bezüglich Arbeitsleistung, Potenzialentfaltung und Weiterentwicklung.

Wie profitieren Mitarbeiter von einem gewaltfreien Dialog?
Wilhelm Geisbauer: Das wichtigste Kriterium, an dem ich Führungserfolg bewerte, ist eine deutliche Verbesserung der Ökologie aller Beteiligten. Damit meine ich die Qualität der Interaktionsdynamik unter den Systempartnern oder ,vereinfacht, den Grad des Wohlbefindens und der Vitalität, der aus gewinnbringenden Beziehungen resultiert. Von Menschen mit hoher Ökologie hört man: „Meine Leistung wird gesehen und wertgeschätzt“ oder „Ich werde fair behandelt.“ Ist der Ökologie-Level niedrig, kommt es zu Störungen im System, wie z. B. zu Aggression, Konflikten, Mobbing oder Depression bis hin zu Burn-out.

Gibt es Instrumente der Qualitätssicherung für die Einführung von Neuer Autorität?
Wilhelm Geisbauer: Führungskräfte mit „alter“ Autorität berufen sich bei organisationalen Veränderungen vorzugsweise auf Dritte, was sie in der Regel eher schwächt. Die Einführung von Neuer Autorität erfolgt step-by-step, evolutionär und setzt den festen Entschluss der Führungskraft dazu voraus. Sie begibt sich in einen lebenslangen Prozess, der von einer systemischen Schleife aus Handlung und Reflexion genährt und gesichert wird. Systemtheorie und Lösungsorientierung stellen dazu eine wertvolle und zuverlässige Basis bereit.


Buchveröffentlichungen von Wilhelm Geisbauer beim Carl-Auer Verlag:


Wilhelm Geisbauer: „Führen mit Neuer Autorität – Stärke entwickeln für sich und das Team“
Wilhelm Geisbauer (Hrsg.): „Reteaming – Methodenhandbuch zur lösungsorientierten Beratung“

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