Wenn das eigene Ruhebedürfnis Irritationen auslöst
Der Wissenschaftsjournalist Tobias Hürter hat in der „ZEIT“ die Frage untersucht, weshalb unser subjektives Bedürfnis nach Ruhe so leicht mit den Erwartungen anderer und sogar mit unseren eigenen Gefühlen in Konflikt gerät. In seinem lesenswerten Essay mit dem Titel „Lasst mich in Ruhe!“ stellt der Autor zunächst die Ergebnisse eines sozialpsychologischen Experiments von Timothy Wilson vor. Dieser hatte an der University of Virginia Probanden in einen leeren Raum gesetzt und ihnen die Aufgabe gestellt, einfach eine Viertelstunde in Ruhe zu sitzen. „Eine angenehme Situation, möchte man meinen. Aber für sie war es eine Qual,“ so Wilson. 

Welchen überraschenden Ausweg einige der Versuchspersonen wählten, um der aufgezwungenen Tatenlosigkeit zu entkommen, kann man bei Hürter nachlesen. Anschließend widmet sich der Autor ausführlich der "Krankheit der Leere“, als welche der Neuropsychologe Niels Birbaumer die Depression bezeichnet, und stellt sie in ein Spannungsverhältnis zum Ruhebedürfnis – mit interessanten Ausblicken. Schließlich berichtet er über das Verhältnis von Tagträumen und Tatenlosigkeit und darüber, welche neuen Erkenntnisse Psychologie und Hirnforschung dazu beisteuern können.

Am Ende der Artikels räumt Tobias Hürter ein, dass der Ausruf „Lasst mich in Ruhe!“ jenseits aller wissenschaftlichen Abgeklärtheit im Zwischenmenschlichen häufig Konflikte oder Irritationen auslöst. Lösungsstrategien zeichnet er - überraschend für manchen Leser - mittels des  “Vier-Seiten-Modells“ von Friedemann Schulz von Thun auf und appelliert schließlich an die eigene Rücksichtnahme und den Respekt vor dem Ruhebedürfnis anderer als einer gute Grundlage dafür, selbst ab und zu guten Gewissens nach Ruhe verlangen zu dürfen. Ein wirklich lesenswerter Artikel!

Carl-Auer-Litraturtipps:
Daniel Wilk: „Die Melodie der Ruhe. Trance-Geschichten: Gefühle wahrnehmen und akzeptieren“
Daniel Wilk: „Die Ruhe im Wasserglas. Entspannungs- und Trancegeschichten, die Seele und Körper harmonisieren“
Gerhard Dieter Ruf: „Depression und Dysthymia“
Bernhard Pörksen, Friedemann Schulz von Thun: „Kommunikation als Lebenskunst. Philosophie und Praxis des Miteinander-Redens“