„Wir freuen uns, dass Sie da sind“ – Das Interview zum Buch

Jochen Schweitzer, bekannter Psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, im Gespräch mit den Autoren und Experten für Väter-Therapie, Andreas Eickhorst und Ansgar Röhrbein,  über deren neues Buch „„Wir freuen uns, dass Sie da sind!“ – Beratung und Therapie mit Vätern“ aus dem Carl-Auer-Herbstprogramm (in Auszügen).

JOCHEN SCHWEITZER  Lasst uns über rote Teppiche in verschärften Situationen sprechen: Väter, die sich von der Familie getrennt haben, zum Beispiel. Also nicht nur von der Frau, sondern mehr oder minder auch vom Kind. Wo der Vater schon woanders ist, wo ein Bruch da ist, wo der Vater aber jetzt mit in die Beratung kommt. Welche roten Teppiche fallen euch für solche Situationen ein?

ANSGAR RÖHRBEIN  Vielleicht etwas Grundsätzliches vorweg: Wir handhaben das bei uns im Kinderschutz-Zentrum so, dass wir bei dem gemeinsamen Sorgerecht in der Regel erst in einen Prozess einsteigen, wenn beide Eltern auch ihre Zustimmung gegeben haben. Das bedeutet, für uns ist der Vater in dem Zusammenhang selbstverständlicher Kontaktpartner, und bereits das wird häufig schon als roter Teppich erlebt: »Wie, Sie holen mich rein?« Oder: »Sie rufen jetzt extra an?«, »Sie fragen mich, und Sie haben jetzt noch nicht mit meinem Kind gesprochen?« – »Nein, ich habe noch nicht mit ihrem Kind gesprochen. Ich brauche Ihr Einverständnis und Ihre Sicht der Dinge und interessiere mich dafür.«

JOCHEN SCHWEITZER  Das geht aber nur, wenn der Vater noch mit sorgeberechtigt ist.

JOCHEN SCHWEITZER  In meiner Tätigkeit als früherer DGSF-Vorsitzender ist das eines der häufigsten Themen für innerverbandliche Beschwerden an die Ethikkommision: Der Psychotherapeut der Mutter schreibt ein Gutachten über den Vater, den er selbst noch nicht gesehen und gesprochen hat. Auch Kollegen mit einer systemischen Weiterbildung machen das oft noch.

ANSGAR RÖHRBEIN  Ich bin dir sehr dankbar für diesen Hinweis. Ich habe in den letzten vier Monaten zwei solcher Schriftstücke in der Hand gehalten. Also, ohne den Vater jemals gesehen zu haben, wird eine dreiseitige Stellungnahme abgegeben, warum das Kind den Vater nicht sehen darf. Und in solchen Situationen kann ich auch verstehen, dass auf der Seite der Väter der Ärger wächst und sie dankbar reagieren, wenn man überhaupt Kontakt zu ihnen aufnimmt. Wir haben ja für unser Buch bewusst den Titel aufgegriffen, der mir immer so wichtig gewesen ist. Wofür Hermann Bullinger bereits in den 1980er-Jahren immer geworben hat: »Seht die Väter nicht als Anhängsel, sondern nehmt sie als eigenständige Personen wahr.« Das ist ja eine ganz banale Sache, ganz in dem Sinne von: »Schön, dass Sie da sind!« – statt: Schön, dass Sie mitgekommen sind. »Sie sind da, und Sie bereichern den Prozess!« Ich glaube, diese Grundaussage ist ganz wesentlich! Und: »Wir interessieren uns für Sie, wir wollen auch Ihre Sicht der Dinge ernst nehmen und in diesem Sinne schauen, wie die Enden wieder zusammenkommen. Auch wenn Sie als Paar klar getrennte Wege gehen, interessieren wir uns dafür, in welcher Weise es vielleicht mögliche, moderierte Wege gibt, wie Sie als Eltern Ihrem Kind beide erhalten bleiben.«

Ich habe neulich mit einem ziemlich zerstrittenen Elternpaar zusammengesessen und habe die beiden eingeladen, in einen Zukunftsfilm einzusteigen: »Stellen Sie sich vor, Ihr Kind wächst weiter auf, wird erwachsen … und heiratet irgendwann. Bei der Hochzeitsfeier steht es auf – Sie beide sind bei der Feier anwesend –, und Ihr Kind hält eine Rede  und erzählt, was Sie trotz der Trennung gut hinbekommen haben, einzeln als Mutter und als Vater und Sie beide zusammen … Was berichtet Ihr Kind dann, was gelungen ist?« Das war ein Moment, in dem die Eltern ins Überlegen kamen: »Hm, ja, was wollen wir eigentlich erreichen? Das Kind ist jetzt vier Jahre alt …« Solche zukunftsorientierten Fragen lassen nach vorne schauen, und die Eltern wollen ja in der Regel gerne beide dabei sein. Sie wollen noch Spuren im Leben des Kindes hinterlassen: »Stimmt, das wollen wir …«. Darauf zu schauen ist aus meiner Sicht ganz wichtig. Nicht mit dem moralischen Zeigefinger kommen, sondern eher die beiden sozusagen bei den Hörnern packen und fragen: »Wo wollen sie denn hin?« 

ANSGAR RÖHRBEIN  Wenn ihr mögt, würde ich gerne noch einen anderen Punkt ansprechen. Berater sind ja selber auch Frauen oder Männer, und Männer sind vielleicht auch Väter. Mich würde interessieren, wie ihr eure eigenen Erfahrungen als Väter in die Therapie einbringt. Wie beeinflusst eurer Vatersein eure Beratungsprozesse?

ANDREAS EICKHORST  Also, bei mir ist das so, dass ich durch die eigene Vaterschaft offener geworden bin für Chaos bzw. Situationen, die sich nicht so gut strukturieren lassen. Beispielsweise lehre ich öfter den Elternkurs »Das Baby verstehen«, in dem Kommunikation und Interaktion zwischen Eltern und Baby thematisiert und reflektiert werden. Der Kurs ist sehr gut – aber als Vater muss ich inzwischen sagen: Man kann das Baby nicht immer verstehen, es gibt unklare und chaotische Situationen, die man einfach aushalten muss. Es ist wichtig, auch mal Unsicherheit und Unklarheit zuzulassen, allen systemischen und entwicklungspsychologischen Modelle zum Trotz!

JOCHEN SCHWEITZER  Bist du weniger streng geworden gegenüber Eltern?

ANDREAS EICKHORST  Ja, ich glaube schon. Und ich denke, auch ein bisschen optimistischer, dass Kinder auch vieles aushalten können. Das und vieles andere, was vorher fachlich schon klar war, kann ich mir jetzt auch persönlich besser vorstellen und es besser nachfühlen. Wenn man es also gut meint und nicht übertreibt, verzeihen Kinder einem vieles. Ich denke dabei nicht an die heftigen Sachen, sondern eher an die Kleinigkeiten im Alltag: wenn Papa oder Mama nicht aufgepasst haben, zu ungeduldig waren, den Kopf mit anderen Dingen voll hatten und Ähnliches – das Kind nimmt einem das nicht übel, wenn klar ist: Eigentlich sind die Eltern für mich da und meinen es gut!

Diese Haltung kann ich inzwischen besser und anders transportieren als vor der eigenen Vaterschaft; also jetzt, da ich auch selber direkt fühlen kann, was das bedeutet. Natürlich war die Art und Weise, in der ich das vorher vermittelt habe, nicht falsch, aber nun hat das Ganze noch eine andere Komponente, nun ist es vielleicht vier- statt dreidimensional, wenn man das so sagen darf. Man wird auch gütiger im Umgang mit den Eltern in der Beratung … 

JOCHEN SCHWEITZER  Schöner Begriff!

ANSGAR RÖHRBEIN  Das ist jetzt eine gute Vorlage: wenn man den einen oder anderen Punkt nachempfinden kann – oder zumindest glaubt, es zu können. Wir sind ja immer auch verschieden. Also, ich empfinde sicherlich anders als ein Vater, der mir als Klient gegenübersitzt, aber solche Ansatzpunkte im Sinne von: »Da könnte das oder jenes bei rumgekommen sein«, das ist, glaube ich, hilfreich. Dass der Mensch auch zugegen ist. Nicht nur der Berater oder der Therapeut, sondern gleichzeitig eben auch der Mensch, der väterliche Erfahrungen mitbringt. Ich habe ja auch einige herausfordernde Situationen mit meinen Kids erlebt, und ich hätte auch schon die Wände hochgehen können! Wie Andreas schon sagt: Es wird dann ein bisschen runder. Auch ich nutze das schon mal, dass ich eigene Beispiele bringe – nicht einfach so, sondern natürlich nur mit Erlaubnis und wenn es passt.

ANDREAS EICKHORST  Und das ist ja ein wichtiger Punkt, das ist für die meisten Mütter und Väter unglaublich wichtig, ob der Berater selber Kinder hat oder nicht. Ich wurde von Anfang meiner Tätigkeit an immer danach gefragt. Und ich war, ehrlich gesagt, immer ein bisschen gekränkt und beleidigt deshalb – ohne mir das allerdings anmerken zu lassen. Ich habe für mich immer gedacht: Ein Zahnarzt muss ja auch keine Karies haben, um gut behandeln zu können. Ein Stück weit stimmt das, aber mir ist auch klar geworden, dass die Eltern gar nicht unbedingt anzweifeln, dass man ohne Kinder gut beraten kann – sie wollen einfach verstanden werden. Die wollen jemanden gegenüber haben, bei dem sie denken können: »Da sitzt jemand, der sein Kind auch nicht immer beruhigen kann; auch er ist manchmal jemand, der nachts aufsteht und die zehnte Milch macht oder mit dem Auto um den Block fährt und so weiter.« Vermutlich reicht dieses Gefühl schon.

JOCHEN SCHWEITZER  Was empfiehlst du denn einem Kollegen, der unsicherer ist als du, der noch keine Kinder hat: Wie soll er auf die Frage »Haben Sie denn Kinder?« reagieren?

ANDREAS EICKHORST  Ich würde damit offen umgehen und würde das nicht als Manko, sondern als klaren Fakt sehen, der nun mal ganz einfach so ist. Man kann dann auch den Ball wieder zurückspielen und zum Beispiel sagen: »Sie haben die Erfahrung, und ich will sie auch von Ihnen hören, und ich will mich da gar nicht in irgendeiner Form ›wissender‹ als andere geben. Ich habe dafür eher viel Wissen über Kinder im Allgemeinen und die Schwierigkeiten und Chancen und Möglichkeiten der Diagnostik.« Das habe ich früher auch versucht, aber ich muss schon zugeben, da gibt es sicherlich Leute, die können das geschickter rüberbringen als ich …

ANSGAR RÖHRBEIN  Was ich dem Kollegen noch in einem zweiten Schritt empfehlen würde, ist, dass er – wenn es passt – die Frage mal zurückgibt. Im Sinne von: »Woran haben Sie denn bisher gemerkt, dass ich, obwohl ich noch kein Vater bin, Ihnen bereits hilfreich war?« Dadurch, dass wir als Systemiker viel nach dem Prinzip »Fragen ist besser als Sagen« handeln, sind wir ja häufig Geburtshelfer für die Aktivierung des Wissens unserer Klienten. Das gibt auch ein wenig festen Boden unter den Füßen, wenn ich davon überzeugt bin. Wie du gesagt hast: Ich brauche das Wissen der Klienten, ihre Kompetenz, und ich versuche, die Beratung letztendlich so zu moderieren, dass sie zu eigenen hilfreichen Erkenntnissen kommen.

JOCHEN SCHWEITZER  Dann lasst mich jetzt noch aus meiner Sicht – je nachdem, was ihr noch habt – das Letzte fragen: Ihr seid ja beide Männer, nun sind aber heute Studierende der Psychologie zu mindestens 85 Prozent Frauen, in der Sozialen Arbeit sind es mindestens 75–80 Prozent. Also, wir sind seltene Exemplare in einem überwiegend weiblich besetzten Berufsfeld. Jetzt plädiert ihr ja für die Einbindung der Väter, predigt das aber überwiegend zu Frauen, die zum Teil Mütter sind, andere sind selber noch weit weg von der Mutterschaft. Das heißt, was ihr hier gesagt habt und was in eurem Buch steht, wird wahrscheinlich mehrheitlich von Frauen gelesen werden. Was resultiert denn aus allem, was wir besprochen haben, eurer Meinung nach für Therapeutinnen und Beraterinnen?

ANSGAR RÖHRBEIN  Ich denke, vieles von dem, was wir angesprochen haben, können die Kolleginnen fast eins zu eins gut übernehmen. Gerade das Respektvolle und Wertschätzende, was den Vater gut abholt und gut aussehen lässt. Möglicherweise wird der Vater genau drauf schauen, wenn er mit seiner Frau da ist oder mit seiner Partnerin oder mit der Mutter der Kinder, in welcher Art und Weise die beiden Frauen interagieren – im Verhältnis zu ihm. Das heißt, möglicherweise sind Therapeutinnen etwas mehr in der Gefahr, dass ihnen vom Vater unterstellt wird, »die Frauen machen ihr Ding«. Da ist es sicher hilfreich, auf der Metaebene genau darauf zu achten: Durch welche Fragen, durch welche Gesten, durch welches Vorgehen habe ich denn tatsächlich meine Allparteilichkeit und mein Interesse an beiden eindeutig markiert? Auch das Beispiel mit den Hunden, das Andreas angeführt hat, zeigt: Ich kann als Frau in unterschiedlicher Art und Weise Kompetenzen signalisieren und auch präsentieren. Die Frage ist: Was habe ich für den Vater in meinem Portfolio, und wie selbstverständlich gehe ich damit um? Da kann der Funke überspringen, und das ist nicht automatisch ans Geschlecht gebunden. 

Möglicherweise haben wir als Kerle einen leichten Vorteil, weil wir an dem Punkt vielleicht eher »unter Männern« in Kontakt kommen. Björn Süfke beschreibt sogar, dass es aus seiner Sicht das männliche Gegenüber braucht, damit Männer (wieder) mit sich selbst in Kontakt kommen (können). Ich hatte erst gestern wieder einen Vater in Beratung, bei dem es im Hintergrund auch um Partnerschaftsgewalt geht, und der sagte: »Na ja, und zwischendrin muss ich wahrscheinlich mit Ihnen sprechen, das kann ich nicht mit den Frauen machen. Das geht nicht.« Das galt jetzt für diesen Mann. In vielen anderen Situationen habe ich erlebt, dass es in erster Linie darum geht, sich gesehen und verstanden zu fühlen, und das kann auch auf der Frau-Mann-Ebene gelingen.

Das ganze Interview als PDF am Ende der Seite.

Carl-Auer-Literaturtipps:
Andreas Eickhorst, Ansgar Röhrbein (Hrsg.): „„Wir freuen uns, dass Sie da sind!“ – Beratung und Therapie mit Vätern“
Ansgar Röhrbein: „Mit Lust und Liebe Vater sein – Gestalte die Rolle deines Lebens“